Glücklich im Plattenbau

Tourte früher mit Rockbands, ist heute mit wenig zufrieden: Bernhard von Roon Foto: Wolfgang Borrs

Bernhard von Roon, 72, ist vor zwei Jahren nach Alt Tellin gezogen.

Berlin, Rio, Goa, Genua, Alt Tellin, so würden sich die Kapitel der Biografie von Bernhard von Roon lesen. Ein Leben lang ist der heute 72-Jährige durch die Welt gereist – um schließlich in einem 400-Seelen-Dorf in der Nähe von Greifswald anzukommen. Dort steht der Mann mit den langen weißen Haaren, den die lokale Zeitung schon als „Aussteiger im Plattenbau“ betitelte, in einem seiner zwei Zimmer und schaut auf das sattgrüne Tal des Flusses Tollense.

„Die Aussicht ist herrlich“, sagt er, „hier knallt den ganzen Tag die Sonne rein.“ Manchmal ist es so hell, dass er das Fenster mit Tüchern abhängen muss, um etwas auf dem Bildschirm seines Computers sehen zu können, beim Videocall mit seiner Tochter in China zum Beispiel. Und diese Ruhe. Einige Sekunden hören wir nichts bis auf das Zwitschern der Schwalben, die an den Ecken der porösen Hausfassade nisten. Bernhard von Roon ist ja auch fast der Einzige, der in dem unsanierten Plattenblock am Ortseingang wohnt. „Es ist warm, ich muss kein Holz hacken, es ist immer Wasser da.“ Der Müll wird abgeholt, der Garten wird gemacht, jemand wischt das Treppenhaus. Bernhard von Roon weiß zu schätzen, was für andere selbstverständlich ist.

Der studierte Elektrotechniker jobbte erst für ein paar Rockbands, mischte deren Musik und tourte mit ihnen. So auch Ende der siebziger Jahre im indischen Goa, allerdings für den umstrittenen Guru Bhagwan, später auch als Osho bekannt. Dort verbrachte von Roon die Winter zusammen mit seiner Partnerin Sarah, im Sommer waren sie in ihrem Haus in Ligurien. Bis Sarah starb.

„Ich kehrte aus Goa zurück, mit meinem Koffer von damals in der einen und ihrer Asche in der anderen Hand“, erzählt Bernhard von Roon. In Sarahs Haus kam er gar nicht mehr, da waren die Schlösser schon ausgetauscht. Also ging es zurück nach Deutschland, erst nach Berlin, wo er keine Wohnung fand. Dann lud ihn ein Freund nach Vorpommern ein und Bernhard bezog seine 48 Quadratmeter in Alt Tellin.

Im Nachbarort Hohenbüssow gibt es ein paar Dutzend Aussteiger, die dort schon seit der Wende leben. „Da habe ich sofort Anschluss gefunden. Ich fahre oft dorthin und wir musizieren, reden, basteln, genießen den Moment.“ Bernhard nimmt fast immer das Fahrrad. Die Busse fahren hier zu selten. Zu seinen medizinischen Checks in Demmin lässt er sich von Freunden fahren.

„Im Leben kommt es darauf an, zufrieden zu sein“, sagt von Roon und lächelt, als er mit seinen dunkel funkelnden Augen ins grüne Tal schaut. „Ich hatte das Privileg, mein ganzes Leben lang machen zu dürfen, was ich wollte. Dafür bin ich dankbar.“ Und er braucht ja auch gar nicht viel. Miete und Heizung übernimmt der Staat, die Grundsicherung genügt ihm.

Foto: K.Ditté

Frank Oswald, 59, ist Professor für Interdisziplinäre Alternswissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt.

Er ist Diplom-Psychologe und forscht unter anderem zu Übergängen, Wohnen und Mobilität im Alter.

„Die in Hohenbüssow leben alle so“, sagt Bernhard von Roon und lacht. „Wenn man kein Trinker oder Kettenraucher ist und sonst keine teuren Hobbys hat, reicht das völlig. Ich esse ja auch nur ganz wenig.“ Das sagt der, der die längste Zeit vor allem von Luft und Liebe gelebt hat.

Philipp Brandstädter