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: Drang nach freiem Sport

Gruppen-Coming-out im Fußball ist seit Tagen das große Thema. Allein das ist schon ein Erfolg

Von „unhaltbaren Zuständen“ spricht der ehemalige DDR-Juniorenauswahlspieler Marcus Urban, der als erster deutscher Fußballer mit Profiambitionen 2007 sein Coming-out hatte. Das ex­trem belastende Versteckspiel treibe schwule Fußballer weiter in die Depression, obwohl sich doch gesellschaftlich einiges zum Besseren gewendet habe. Deshalb habe er eine kollektive Coming-out-Kampagne vorangetrieben. Im November 2023 kündigte er an, Menschen aus dem Profifußball würden am 17. Mai, dem Internationalen Tag gegen Homophobie, als Gruppe ihre Homosexualität öffentlich machen. Auf einer neu geschaffenen digitalen Plattform soll danach jeweils am 17. eines Monats Menschen die Möglichkeit gegeben werden, diesem Beispiel zu folgen.

Es ist eine gute Idee, Vorbilder in möglichst großer Zahl zu schaffen und zugleich den öffentliche Druck auf mehrere Schultern zu verteilen. Ungewollt hat die ­Kampagne „Sports Free“ nun aber doch Druck aufgebaut. Aus diesem Dilemma ist nur schwer herauszukommen. „Scheitert das Gruppen-Coming-out schwuler Profifußballer?“, überschrieb schon vor wenigen Tagen das Magazin Stern ein Interview mit Marcus Urban, in dem dieser sagt: „Aktive Profifußballer halten sich noch zurück.“

Mag es den Machern der Kampagne rund um Urban vornehmlich um das Verändern von Verhältnissen gehen, so scheint das Interesse der Beobachter dieses angekündigten Schauspiels auch von einem gewissen Voyeurismus getragen zu sein. Der Start der Coming-out-­Ini­tia­tive „verläuft holprig“, vermeldete etwa die ARD auf ihrer „Sportschau“-Website am Freitagmittag. Nicht ein neuer Name eines schwulen Fußballers war bis dahin der Öffentlichkeit preisgegeben worden.

Mängel der Kampagne

Ohnehin war im Vorfeld der Kampagne einige Kritik laut geworden. Bemängelt wurde vor allem die Fokussierung auf das Coming-out, dass Fußballprofis um der gemeinsamen Sache willen zum Bekenntnis ihrer Homosexualität bewegt werden sollten. In die Verantwortung zu nehmen, hieß es, seien erst einmal all diejenigen, die ein homophobes Klima im Fußball begünstigen. Die Strukturen müssten verändert werden, die Vereine und Verbände aktiver werden. Die Konzentration auf schwule Männerfußballer fanden manche unzureichend und warben für einen holistischeren Ansatz, der Lesben, Bisexuelle, Trans*, Inter* und Queer und andere Sportarten miteinbeziehe.

Argumente, die in der Theorie sehr wohl ihre Berechtigung haben. Doch warum wird eine Initiative wie die von Marcus Urban und Mitstreiterinnen anhand eines derart hohen Maßstabs beurteilt. Steht es nicht allen frei, den Steinen, die möglicherweise ins Rollen kommen, eine andere Richtung zu geben oder neue anzustoßen.

Zehn Jahre ist es her, als Thomas Hitzlsperger nach Ende seiner Fußballkarriere sein Coming-out hatte. Seinem Vorbild ist in Deutschland seither kein Fußballprofi gefolgt. Regenbogenbinden, Aktionsspieltage gegen Homophobie, solidarische Bekenntnisse von Vereinen und Verbänden konnten nichts daran ändern. Die Kampagne „Sports Free“ ist von einem gewissen Drang beseelt, den Stillstand zu überwinden, etwas in Bewegung zu bringen. Ihr Erfolg wird sich nicht daran bemessen lassen, ob drei, sechs, zwölf oder noch mehr Fußballer oder andere aus der Branche in den nächsten Wochen von ihrer Liebe zu Männern erzählen. Entscheidender wird sein, wie der Voyeurismus klein gehalten, der schon diese Woche sehr intensive inhaltliche Austausch lebendig gehalten und dann eben auch verbreitert werden kann.

Johannes Kopp