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das wird„Männer haben etwas nachzuholen“

In Hildesheim werden „Gespräche über Männlichkeit“ in der Literatur geführt

Interview Lotta Drügemöller

taz: Herr Tholen, welche Figur aus dem klassischen Literaturkanon hat ihr Männlichkeitsbild positiv geprägt?

Toni Tholen: Schwierig. Ich habe viele schillernde Figuren im Kopf. Aber die meisten sind sehr ambivalent; sie sind eingebunden in patriarchale Muster. Ich denke gerade an Ulrich aus Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften“. Er denkt vom Möglichkeitssinn her, dadurch bleibt eine grundlegende Offenheit in der Figur. Er zögert, bevor er sich zu etwas bekennt. Das hat mir immer gefallen.

Aber?

Gleichzeitig hat die Figur auch sehr patriarchale Züge. Ulrich ist sehr dominant und wissend. Er steht da mit der Macht des Gelehrtendiskurses. Es fällt mir mittlerweile schwer, solche Strukturen zu übersehen.

Sie beschäftigen sich seit 30 Jahren literaturwissenschaftlich mit Männlichkeitsbildern. Gibt es überhaupt Bücher, die ein fortschrittliches Bild vermitteln?

Es gibt einige aktuelle Autoren, die versuchen, sich als Männer kritisch zu reflektieren. Autoren, die queere und feministische Literatur rezipieren und sich fragen, was sie als Männer zum feministischen Diskurs beitragen können. Aber auch das bringt Probleme mit sich: Die Anthologie „Oh Boy“ hat einen Skandal ausgelöst

Einer der Autoren hatte darin im vergangenen Jahr über seine eigene Übergriffigkeit geschrieben – gegen den Willen der Betroffenen.

Gerade bei autofiktionalen Texten von Männern ist es naheliegend, dass der Text zentral um den männlichen Protagonisten kreist. Auch wenn Männer kritisch über Männlichkeit schreiben, birgt das die Gefahr, dass so vor allem neues symbolisches Kapital eingefahren wird.

Jana Schütze

Toni Tholen 59, ist Literaturwissenschaftler und Männlichkeitsforscher an der Universität Hildesheim.

Müssten Männer also einfach mal schweigen?

Nein, man muss schon reden, um weiterzukommen. Auch mit einer eigenen Stimme. Aber wir müssten gleichzeitig mehr zuhören. Es waren Frauen, Feministinnen, die als erste über das Patriarchat nachgedacht haben. Männer haben etwas nachzuholen.

Zum „Gespräch über Männlichkeit“ kommt heute Abend trotzdem – ein Mann.

Natürlich werde ich längerfristig Menschen aller Geschlechter einladen. Begonnen habe ich, das stimmt, mit zwei männlichen Autoren. Das soll ein öffentliches Signal senden: Männer fangen an, sich über Geschlecht und Männlichkeit Gedanken zu machen.

Was hat Christian Dittloff zu erzählen?

„Prägung“ ist ein autofiktio­nales Buch, Dittloff schreibt sehr offen über seine männliche Sozialisation. Er zeigt, wo er heute gerne heraustreten möchte: aus patriarchalen Strukturen. Dabei wird deutlich: So einfach geht das gar nicht. Man muss eine neue Sprache, einen neuen Habitus finden. Dittloff bettet essayistische Elemente ein, verweist etwa auf Nicole Seifert, wenn es um den männlichen Literaturkanon geht. Ich denke, es wird künftig die Aufgabe von Männern sein, stärker ­dialogisch zu schreiben.

„Gespräche über Männlichkeit“ mit Christian Dittloff und Toni Tholen: heute, 19.30 Uhr, Literaturhaus St. Jakobi, Hildesheim, Jakobikirchgasse

Was erwarten Sie von dem Abend?

Zur ersten Lesung, mit ­Fikri Anıl Altıntaş, kamen viele Leute aus allen Altersstufen und Geschlechtern. Es gibt gerade ein großes Bedürfnis, über Männlichkeit nachzudenken.

Ist das eine Mode?

Ich denke eher, das hat politische Bedeutung. Wir erleben aktuell eine massive Remaskulinisierung. Dem müssen wir einfach andere Positionen entgegensetzen. Die AfD möchte nicht ohne Grund Geschlechterforschung verbieten.

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