Die den Abszess cremen

Mit fidelen Vulgarismen appelliert „Die Schattenpräsidentinnen“ am Schauspielhaus Hamburg an die Frauen im Dienst der Macht, sie lieber selbst zu übernehmen

Statt in feministischer Solidarität miteinander, wird gegeneinander agiert Foto: Thomas Aurin/DSH

Von Jens Fischer

„Fotze“ ist das erste Wort des Stücks. Mit ratloser Empörung entwischt es der Stabschefin (Sandra Gerling) des US-amerikanischen Präsidenten. So habe er vor Diplomaten und Medienvertretern seine Frau bezeichnet, fragt die schon hektisch verrenkte Pressesprecherin (Josefine Israel) und plant bereits Maßnahmen gegen den in ­Tsunamistärke zu erwartenden Shitstorm. Nein, die First Lady habe „einen hinterfotzigen Morgen“, sei die Formulierung gewesen. Etwas weniger schlimm.

Aber der Anfang eines panischen Kampfes, den Vorturner der westlichen Welt vor einer Investigativjournalistin zu verbergen und mit positivem Image durch die Termine des Tages zu bringen: Umarmung von Kriegsversehrten, Verhandlung zum Nuklearwaffen-Sperrvertrag mit Ländern wie „Bahrain, Bahraus“, Rede für eine Gala zu Ehren der Landfrauen für moderne, alternative Agrikultur.

Zwischendurch muss die Sekretärin noch Pediküre, cremigen Umgang mit dem Abszess am Anus und vielleicht einen kurzen Geschlechtsverkehr mit der schwangeren Geliebten Biene organisieren. „Die Schattenpräsidentinnen oder: Hinter jedem großen Idioten gibt es sieben Frauen, die versuchen, ihn am Leben zu halten“ ist die deutschsprachige Erstaufführung von Selina Fillingers kurz „Farce“ betiteltem Stück, uraufgeführt 2022 am Broadway. Ergänzt um die Widmung „Für jede Frau, die sich jemals als Nebenrolle in einer männlichen Farce wiedergefunden hat“ ist damit alles über den Inhalt gesagt. Der passt gut in eine Zeit, in der die Wählermehrheit der USA sich als unbelehrbar zu erweisen droht und Donald Trump erneut im Oval Office platziert. Die Bühne (Andreas Auerbach) zeigt Wände eines weißen Hauses mit einem Bild vom Genozid an den First Nations, darunter befinden sich sieben Türen für die Klipp-Klapp-Dramaturgie.

Der Einstieg mit vollem Karacho macht gleich Glanz und Problem der Umsetzung deutlich. Wer in rasendem Sprechtempo mit bissig-bösem Pointen, vulgären Ausrastern, rüder Zickigkeit, puffärmeliger Comicpuppenlustigkeit, betonierten Turmfrisuren und schrillschraubig hochgetunten Klischees einsteigt, hat sofort die Sitcom-Lacher auf seiner Seite. Steigerungsmöglichkeiten fehlen jedoch. So versucht Regisseurin Claudia Bauer mit gutem Timing das Energie-Level hochzuhalten. Dazu werden noch Gags addiert.

Die einzelnen Szenen werden wie Runden beim Boxen angekündigt: Statt in feministischer Solidarität miteinander, wird gegeneinander agiert, zumindest verbal. Die Auseinandersetzungen kommen als rein äußerliche Virtuosennummern daher, was den Abend trubelig bewegt, aber nicht lebendig macht.

Eine Einlassung, warum Frauen sich so unterordnen und niedermachen, welche Sehnsüchte sie treiben, wird noch nicht einmal versuchsweise unternommen.

Im Stück tritt der Präsident nie auf. Nur einmal baumeln seine Beine ohnmächtig aus einer Kiste. Aus dem Gerede über ihn purzeln Anspielungen auf sexuelle Übergriffigkeiten Bill Clintons: „Sie lieben ihn nicht“, findet eine Figur zu einem analytischen Gedanken, „sie haben nur Angst vor der Alternative.“

Im Stück tritt der Präsident nie auf. Nur einmal baumeln seine Beine aus einer Kiste

Wer das sei? „Wir!“, also die Frauen, lautet die Antwort. Das versucht die Regie zu betonen. Es wird überlegt, den Präsidenten aus dem Weg zu räumen. Der gezielte Wurf mit einer Büste der Suffragette Alice Paul hat fast Erfolg.Als die Stabschefin erfährt, ihr Chef wolle sie rausschmeißen, weil sie völlig zu Recht für den Kopf hinter seiner Politik vermutet würde und die „einzige Möglichkeit zu zeigen, dass das nicht stimmt, wäre sie zu feuern“, wird es ruhig auf der Bühne.

Die Frauen raufen sich zusammen, sehen zwar noch einen „fotzigen Morgen“ dämmern, aber singen: „I got nothing to lose.“ Jetzt müssten sie nur aufhören, ständig den Präsidenten zu retten, der sie nicht ernst nimmt. Weil der Abend dank des Ensembles so fidel amüsiert, kommt auch die Botschaft prima an.

Schauspiel „Die Schattenpräsidentinnen“, Deutsches Schauspielhaus Hamburg, 25. und 28. 6. sowie 4.7., 19.30 Uhr