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Das war das taz lab 2024Wir, nur anders

Das taz lab ist so etwas wie der Kirchentag für Linke. Inklusive Gefühl, dass viel möglich ist, wenn man sich irgendwie zusammenrauft. Wie beruhigend.

Be­su­che­r*in­nen auf der Dachterrasse des frizzforums am Besselpark während des taz labs 2024 Foto: Stefan Boness

BERLIN taz | April, der 27. – und es ist fast Sommer. Die Sonne scheint großzügig. Kinder spielen ausgelassen auf einem Stück der abgesperrten Friedrichstraße, gutgelaunte Menschen halten volle Biergläser in den Händen und hören gebannt politischen Diskussionen zu. Im und am taz-Haus am Kreuzberger Besselpark ist wieder taz lab, obendrein feiert die taz ihren 45. Geburtstag.

Auch wenn es manchmal so wirkt, ist dieser Kongress kein Volksfest, sondern ein „Volxfest“ – wie taz-lab-Kurator Jan Feddersen nicht müde wird zu betonen. An diesem Ort kommen die Teil­neh­me­r*in­nen nicht zusammen, weil sie sich in einem irgendwie identitär verfassten „Wir“ wiedererkennen. Viele von ihnen verbindet zunächst nur die tägliche Lektüre der taz und das Interesse für politische Themen wie Kapitalismus, Europa oder Ökologie.

Allerdings unterscheidet sich die Veranstaltung deutlich von einem Parteitag. Das taz lab ist bestens organisiert, hat sich aber den selbstgemachten Charme der „Neuen Linken“ bewahrt. Selbst wenn die Soundanlage einmal versagt, bleiben die Technikverantwortlichen gelassen und versuchen geduldig, ein Problem zu lösen.

Miteinander sprechen trotz Differenzen

Manchmal entstehen sogar Nebenevents, ungeplante, neben den 90 Panels und Workshops, wenn inmitten des Diskussionsbetriebs plötzlich eine Menschentraube Geburtstag feiert. Rund um die Bühnen haben Organisationen und Initiativen wie Omas gegen Rechts ihre Stände aufgebaut. Wer die politische Linke kennt, fühlt sich an die kommunistische „Fête“ der französischen Zeitung L’Humanité erinnert, wer christlich sozialisiert ist, mag an den Kirchen- oder Katholikentag denken. Das taz-lab-Publikum, am Samstag tausendfach, ist aber ein bisschen anders.

Theoretisch versierte Geister versuchten lange Zeit, dieses Anderssein als „Mosaiklinke“ zu definieren. Zum Beispiel sitzen der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk, der die DDR aufgrund seiner Ostsozialisation naturgemäß kritisch sieht, und die ehemalige Jacobin-Redakteurin Ines Schwerdt­ner, die am „demokratischen Sozialismus“ festhalten möchte, zusammen. Und sprechen trotz offenkundiger Differenzen miteinander. Dieser Anspruch wird auch an der Art und Weise deutlich, wie das übergeordnete Thema „Alles Osten. Oder was?“ im tiefsten Westberlin verhandelt wird. Ob Ostdeutschland, Osteuropa, der sogenannte Nahe Osten oder der aus europäischer Perspektive eher „Ferne Osten“ – biografische, wissenschaftliche und politische Zugänge mischen sich hier.

Das taz lab will einer der wenigen Orte sein, an dem sich verschiedene Formen des Wissens über den Osten begegnen. In diesem Umfeld gibt sich auch die politische Prominenz leutselig. Die grüne Bundesvorsitzende Ricarda Lang läuft ohne großes Gefolge, nur mit obligatorischem Wachschutz, über den Platz. Auch sie hat ein Bierglas in der Hand. Allerdings sind nicht nur die üblichen Verdächtigen vor Ort.

Als langjähriger CDU-Bundestagsabgeordneter und ehemaliger Beauftragter der Bundesregierung für die Neuen Bundesländer stellt sich der Sachse Marco Wanderwitz den kritischen Fragen des taz labs. Er spricht mit brennender Sorge über die anstehenden Wahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Auf seinen ehemaligen Parteifreund Maximilian Krah angesprochen, der nun als Spitzenkandidat der AfD zur Europawahl antritt, reagiert er besonnen und gleichzeitig selbstkritisch. Am Ende der Diskussion dankt Wanderwitz den Or­ga­ni­sa­to­r*in­nen für die Einladung, die nicht selbstverständlich sei.

Was es nicht gibt: Kulturpessimismus

Augenblicklich wird ein Ausspruch des Philosophen Hans-Georg Gadamer wahr, der in mehreren Runden als Gewährsmann aufgerufen wurde: „Ein Gespräch setzt voraus, dass der andere recht haben könnte.“ Auch sonst sind die anderen in Gestalt von Passant*innen, die sich in das bunte Treiben im Besselpark hineinziehen lassen, anwesend. Familien rasten an den bereitgestellten Biertischen und Frei­zeit­sport­le­r*in­nen bahnen sich ihren Weg durch die Menschenmenge. Manche hören eine kurze Zeit zu und verschwinden dann wieder.

Was es hier nicht gibt: Kulturpessimismus. Der Berliner Künstler Leon Kahane erinnerte in einem Gespräch an diese politische Gefahr, die der jüdisch-amerikanische Historiker Fritz Stern mit analytischem Blick auf das NS-Regime ausgemacht hatte. Die Dis­ku­tan­t*in­nen kritisieren zwar ausgiebig die gesellschaftlichen Verhältnisse und beschwören manchmal den baldigen Untergang der Welt. Auf den Bühnen und im Publikum gewinnt aber nie die Verzweiflung die Oberhand. Es bleibt das beruhigende Gefühl zurück, dass viel möglich ist, wenn man sich nur irgendwie zusammenrauft. Wenn Menschen in der Diskussion zu einem nicht­identitären Wir finden. Damit fasst das taz lab 2024 auch die an Widrigkeiten nicht arme Geschichte der taz prägnant zusammen.

Nein, dieses Kreuzberg ist nicht überall. Aber dieser an einem Tag im April spürbare Geist ist ein Versprechen. Trotz alledem und alledem.

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