berliner szenen
: Ein Klingeln, fast so oft wie 1929

An einem Freitagmorgen klingelt es. Ich wohne im ersten Stock eines Mietshauses und bin es gewohnt, dass Boten bei mir klingeln, um die Pakete der Nachbarn abzugeben. Vor der Tür aber steht ein Mann in einer orangefarbenen Weste und sagt hastig: „Keine Sorge. Es ist nichts Schlimmes passiert.“ Ich sehe ihn abwartend an. Er erklärt: „Ich komme in eigener Sache. Die Malteser brauchen Ihre Unterstützung.“ Und nach einer Pause: „Hatten Sie bereits einmal Kontakt mit den Maltesern? Ich überlege kurz: „Nur über meine Oma.“ Der Mann fragt weiter: „Und ist da alles zu Ihrer Zufriedenheit gelaufen? Ich zucke mit den Achseln: „Ist lange her.“ Er murmelt: „Gut, dann muss ich also keine Beschwerde aufnehmen.“ Und meint dann: „Nun brauchen wir dringend Ihre Hilfe. Wenn wir keine Unterstützung erh...“ Überfordert von dem Überfall schneide ich ihm das Wort ab: „Ich habe wenig Zeit. Und auch nichts über.“ Er sieht mich groß an: „Nicht einmal zehn Euro im Monat?“ Ich schüttle den Kopf. Er nickt resigniert.

Circa eine Stunde später läutet es erneut. Diesmal sind es ein Mann und eine Frau. Sie sagt: „Wir wissen, die Zeiten sind hart, aber …“ Mir kommt das Wort „Bettel­unwesen“ in den Sinn, das meine Oma immer verwendete, wenn sie von der Weltwirtschaftskrise des vorigen Jahrhunderts erzählte und den Hausierern, die ab 1929 tagein, tagaus von Haus zu Haus zogen. Gedankenverloren erkläre ich dem Paar, dass ich gerade keinen Kopf für ihr Anliegen habe. Kurz darauf höre ich durch die Tür, wie mein Nachbar erklärt: „Ich bin in einer Konferenz.“ Die Frau fragt: „Sollen wir wiederkommen?“ Als es Stunden später noch mal klingelt, öffne ich nicht. Aber frage mich doch, was das Paar wollte. Vermutlich eher doch keine Spenden. Sondern erklären, welche Glaubensgemeinschaft uns jetzt alle retten kann. Eva-Lena Lörzer