Inklusiv oder nicht inklusiv, das ist die Frage

Am Staatstheater Braunschweig platzt ein Stück, weil eine Schauspielerin mit Behinderung nicht die versprochene Form der Bezahlung bekommt. Nun wird diskutiert, ob die gegenwärtigen Strukturen diskriminierend sind

Ist überzeugt, dass es dem Theater nur um Außendarstellung geht: Schauspielerin Alina Buschmann Foto: dts Nachrichtenagentur/Imago

Von Friederike Gräff

Es sah erst einmal nach einer guten Lösung aus: Die Schauspielerin Alina Buschmann, die schon als Inklusionsberaterin am Staatstheater Braunschweig gearbeitet hat, sollte kurzfristig die Rolle eines neurodivergenten Protagonisten übernehmen. Ein anderes Ensemblemitglied hatte sich verletzt und Alina Buschmann, selbst neurodivergent, begann mit den Proben.

Nun hat das Theater das Stück „Supergute Tage oder Die sonderbare Welt des Christopher Boone“ abgesagt. Alina Buschmann wirft dem Haus diskriminierendes Verhalten vor. Das Theater wiederum hat sich entschuldigt und fühlt sich, das ist unüberhörbar, dabei nicht in seinem Bemühen gesehen, behindertengerechte Arbeitsstrukturen zu schaffen.

Aus Sicht Alina Buschmanns geht es dem Haus allerdings in erster Linie um Außendarstellung. Dabei hat das Theater eingeräumt, es habe „widersprüchlich kommuniziert, falsche Versprechungen gemacht und zu lange gebraucht, uns diese internen Kommunikationsfehler und deren Folgen einzugestehen“.

Konkret geht es darum, dass Buschmann nicht mit einem Vertrag, sondern auf Rechnung arbeiten musste – und dies mit einem Katalog von Bedingungen, die sie für ihre Arbeit braucht. Beides habe sie frühzeitig kommuniziert, schreibt sie der taz. Mitarbeiter des Theaters hätten ihr dies auch zugesichert, was Buschmann mit Handyfotos belegt. Erst drei Wochen nach Probenbeginn habe ihr die Geschäftsführung dann mitgeteilt, dass eine Arbeit auf Rechnungsbasis rechtlich nicht möglich sei.

Tatsächlich bestätigt das Theater diese Darstellung weitgehend. „Aber auf unserer rechtlichen Grundlage ist keine andere Lösung möglich“, sagt die Intendantin des Braunschweiger Staatstheaters, Dagmar Schlingmann. Hätte das Theater mehr Zeit gehabt, so sagt sie, „hätte man eine Lösung finden können“. Die drei Wochen seien keine Hinhaltetaktik gewesen, sondern der Versuch, eine Lösung zu finden.

Alina Buschmann bleibt bei dem Vorwurf, das Theater sei vor allem um seine Reputation bemüht. In einer ersten Erklärung hatte es geheißen: „Parallel zu den laufenden Proben und unter großem Zeitdruck gab es intensivste Bemühungen, mit Alina Buschmann eine Vertragsbasis zu finden, die ihren und den rechtlichen Anforderungen des Theaters, insbesondere in sozial- und steuerrechtlicher Hinsicht, entsprechen. Das ist auch nach mehrfacher externer juristischer und fachlicher Beratung nicht gelungen“.

Für Buschmann folgt das einem ableistischen, also Menschen mit Behinderung diskriminierenden Narrativ nach dem Motto: „’Stellt euch nicht so an; ihr seid als behinderte Person anstrengend.’Das schadet unserer Community“.

Für sie steht ihr Fall stellvertretend für die Schwierigkeiten, mit denen Schauspielende mit Behinderung konfrontiert sind. „Ich bin privilegiert“, sagt sie, „und kann dazuverdienen“. Das gelte zum Beispiel nur begrenzt für Schauspielende, die in geschützten Werkstätten zu Stundensätzen unter zwei Euro arbeiten.

Für Buschmann steht ihr Fall stellvertretend für die Schwierigkeiten, mit denen Schauspielende mit Behinderung konfrontiert sind

Die geschäftsführende Direktorin des Deutschen Bühnenvereins, Claudia Schmitz, stützt die Sichtweise des Braunschweiger Theaters: „Die Entscheidung, ob bei der Erbringung von Leistungen gegenüber einem Theater eine abhängige Beschäftigung oder eine selbstständige Tätigkeit vorliegen, obliegt nicht den jeweiligen Vertragspartner:innen.“ Sie ergebe sich aus dem Abgrenzungskatalog der Rentenversicherung hierzu. Hiernach seien gastspielverpflichtete Schau­spie­le­r:in­nen grundsätzlich abhängig beschäftigt.

Hybrid Beschäftigte in der Kultur, die sowohl abhängig als auch selbstständig arbeiteten, fänden in den aktuellen sozialversicherungsrechtlichen Rahmenbedingungen zu wenig Berücksichtigung, räumt Schmitz ein. „Hier ist eine Reform erforderlich, damit sich die verschiedenen Beschäftigungsarten abbilden lassen und die Betroffenen besser abgesichert sind.“

Neue Vertrags- und Bezahlmöglichkeiten für künstlerisch Tätige, die den ohnehin schwierigen Balanceakt zwischen temporären Festanstellungen, freiem Arbeiten und Nebenjobs bewältigen müssen – in dieser Forderung treffen sich tatsächlich alle: Intendantin, Bühnenverein und Alina Buschmann. Noch sind sie Zukunftsmusik.