STRENG GENOMMEN ARBEIT: Radklau
Seit gestern fährt irgend so ein Vollpfosten da draußen mit meinem Rad durch die Gegend. Es war zwar kein besonderes Rad, sechs Jahre alt und auch nicht mit viel Erinnerung bepackt, aber es war immerhin jenes Rad, mit dem ich vor zwei Jahren genau 100 Kilometer an einem Tag gefahren bin, und das will bei mir was heißen. Ich bin kein Speichennostalgiker, aber ich steh jetzt halt ohne Rad da.
Scheiße! Jetzt überlege ich gerade, ob ich mir über Kleinanzeigen Ebay bei einem gewissen Herrn Zeiler eins kaufen soll, das ziemlich genauso viel kostet wie zwei dieser Texte hier. Streng genommen sitze ich heute am Schreibtisch (statt draußen in der Sonne zu radeln) und schreibe, um später wieder draußen in der Sonne herumradeln zu können. Das ist doch schizo. Und je nachdem, wann ich mit diesem Text fertig bin, ist die Sonne schon weg und ich radle links und rechts durch die Dämmerung – dann werde ich jedenfalls ziemlich stinkig, dass ich wegen diesem Vollpfosten das schöne Wetter verpasst habe. Während er selbst wahrscheinlich gemütlich draußen rumgekurvt ist.
Gerade eben habe ich noch mal bei Herrn Zeiler angerufen und ihm in zwei Nebensätzen mein kleines Radfahrerherz ausgeschüttet. Er meinte, er könne sich gut vorstellen, was ich da gerade durchmache. Herr Zeiler ist wirklich nett und kann ziemlich gut zuhören, wie es scheint, und als ich ihn frage, warum er das Rad denn eigentlich verkaufe, sind wir – ruck, zuck! – bei seiner Thrombose und den schmerzhaften Ablagerungen in den Kniegelenken. Er habe sich vor Kurzem ein gebrauchtes E-Bike gekauft, das aber leider schon wieder kaputt sei. Er könne also genauso wenig draußen in der Sonne herumfahren wie ich.
Es ist schon seltsam, wie das Leben manchmal daherkommt. Herr Zeiler freut sich bereits, dass ich nachher vorbeikomme. Werde ich also mal langsam Schluss machen. JOCHEN WEEBER
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