piwik no script img

Rettet die LyrikAngst und Schrecken in der Poesiezone

Kommentar von Franz Dobler

Das Gedicht ist von allen Seiten bedroht. Zum Welttag der Poesie eine flammende Verteidigung der Lyrik, dieser armen Sau.

Glanzbild Foto: Schöning/imago

E s war der Tag, der allen Schü­le­r:in­nen dieser Hauptschule zeigen sollte, dass Schule Spaß macht. Am Ende des Schuljahrs ein Tag mit vielen tollen Workshops, für die auch Nichtlehrer wie ich engagiert wurden. Mein Crashkurs: Wie schreibt man ein Gedicht. Zum Glück war mit vier Anmeldungen die Mindestzahl erreicht und damit 200€ für mich.

Zwei Jungs und zwei Mädchen, die die neunte Klasse geschafft hatten, wollten wissen, wie ein Gedicht geht. Weil ich viele Gedichte gelesen und sogar zwei Gedichtbände veröffentlicht hatte, würde ich ihnen das locker verklickern.

„Lyrik isst schwürick!“ Diese Warnung des Dichters Wiglaf Droste kannte ich. Das war aber nur die halbe Wahrheit. Mit der anderen Hälfte wollte ich sie begeistern. Und versicherte ihnen zum Einstieg sofort, dass jeder Mensch ein Gedicht schreiben kann, du brauchst kein Abitur, darfst alles klein schreiben, musst keine Reime basteln, egal, was irgendein Lehrkörper erzählt, du hast größte Freiheit, was willste mehr, wir probieren das zusammen aus.

Reaktion der vier Teens: betretene Gesichter. Genervt und bisschen verzweifelt. Und schüchtern waren sie. Sagten keinen Ton. Was war da los? Ich bat sie, keine Angst vor mir zu haben, ich bin doch kein Lehrer, Leute. Und zitierte aus einem Gedicht von Thorwald Proll: „Raus mit der Sprache!“

Schnell wurde uns klar, dass der Kurs ein Schlag ins Wasser war. Die beiden Mädchen dachten, es ginge um Schönschreiben, Kalligraphie, und kein Lehrkörper hatte ihnen was erklärt; die beiden Jungs hatten in den HipHop-Rap-Kurs gewollt, aber der war mehr als voll belegt und man hatte sie in meinen Kurs abkommandiert.

Sie sahen unglücklich aus

Fühlten sich dumm und schuldig

Dachten, ich wär sauer auf sie.

Aber ich war kein Lehrkörper

Ich war einer von ihnen – und

Zusammen würden wir´s hinkriegen.

Ist doch kein Problem, sagte ich, wir sind hier zu nichts verpflichtet, wir unterhalten uns einfach – war es zum Beispiel nicht irre komisch, dass das kürzeste und schönste Gedicht vom größten Boxer aller Zeiten geschrieben worden war?

„Me / We – von Muhammad Ali!“

Wie fanden sie das, war das nicht toll? Und der Beweis, dass ich ihnen keinen Unsinn erzählte und dass wirklich alles möglich war? Sollten wir mal alle versuchen, ein Gedicht mit zwei Wörtern zu schreiben? Die Antwort waren gequälte Gesichter mit der Botschaft: Welche zwei fucking Wörter sollten das denn sein, das war doch Quatsch. Was ja auch nicht ganz unberechtigt war.

Nächster Versuch, an ihnen dranzubleiben, mit der Frage, was für Gedichte sie denn im Unterricht gelesen hatten. Klare Antwort: sie hatten kein einziges gelesen. Wie bitte?! Ihr müsst doch in Deutsch irgendwas gelesen haben, erzählt mir doch nichts.

Natürlich hatten sie was gelesen. Sie hatten ihr ganzes letztes Hauptschuljahr damit verbracht, Bewerbungsschreiben zu lesen und Bewerbungsschreiben zu schreiben und jetzt hing ihnen das Scheißbewerbungsschreibfach Deutsch zum Hals raus. Egal, ob Gedicht oder sonstwas.

So dürfen wir uns, einige Jahre später, auch an diesem Welttag der Poesie auf die sogenannten Sonntagsreden freuen. Die bayerische Lehrkörper-Ministerin und Freie-Wähler-Frontfrau Anna Stolz wird den Plan, den musischen Unterricht an den Grundschulen zu kürzen, schon schön schönreden, ach ja, die Poesie!

Dazu passend zuletzt ein Blick auf die Szene der Poesie-Produzent:innen. Aufgrund geringer eigener Erkenntnisse zitiere ich den Dichter Jan Kuhlbrodt, der letzten Oktober diese Beo­bachtungen veröffentlichte:

„die lyrikszene ist so politisch wie streuselkuchen. man spricht ständig von der marginalisierung der lyrik und heult sich gegenseitig ins taschentuch, aber zu den geschehnissen auf der buchmesse (rechte verlage, absagen und dergleichen) vernimmt man aus dieser ecke kein wort. (das ist etwas pauschal, aber es stößt mir schon auf)“.

Am Tag der Poesie

Erkennt das Gedicht

Die Bedrohung von allen Seiten.

Die arme Sau – sie lacht!

Weil sie unsterblich ist.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • da hinten droht



    der Artentod



    doch ich ess jetzt mein Pausenbrot

  • Jau! :-)

  • Ich hab vor ca 10 Tagen mein erstes, gelungenes Liebesgedicht verschickt. Es hat sogar zwei Strophen.



    Und die Wirkung auf meine Angebetete bestätigt mir den Erfolg.



    Mein Lieblingsgedicht heißt "Lob der Faulheit" von Lessing, glaub ich.



    Obwohl Goethe auch ein paar witzige Trinkreime aufgeschrieben hat.



    "Trunken wollen wir sein



    Jugend ist trunken ohne Wein



    Und trinkt sich das Alter zur Jugend



    So ists eine wundebare Tugend.



    Voll Sorgen ist das Leben



    Und Sorgenbrecher sind die Reben."

    • @KnorkeM:

      Das Gedicht „Lob der Faulheit“ stammt aus der Feder von Gotthold Ephraim Lessing.

      Lob der Faulheit



      Faulheit, jetzt will ich dir



      Auch ein kleines Loblied bringen. -



      O - - wie - - sau - - er - - wird es mir, - -



      Dich - - nach Würden - - zu besingen!



      Doch, ich will mein Bestes tun,



      Nach der Arbeit ist gut ruhn.

      Höchstes Gut! wer dich nur hat,



      Dessen ungestörtes Leben - -



      Ach! - - ich - - gähn´ - - ich - - werde matt - -



      Nun - - so - - magst du - - mir‘s vergeben,



      Dass ich dich nicht singen kann;



      Du verhinderst mich ja dran.