Landesweite Aktionen: Bauern protestieren in Polen

Straßenblockaden vor Grenzübergängen: Polnische Landwirte wehren sich gegen den Preisverfall. Anti-ukrainische Töne sind kaum zu hören.

gelbe Rauchschwaden und Menschen in gelben Westen

Bauernprotest in Lublin Foto: Jakub Orzechowski via reuters

WARSCHAU taz | In Kattowitz, der Hauptstadt Oberschlesiens in Polen, verschenken Bauern Äpfel, Kohlköpfe, Lauch, Eier, Milch und Honig. Neben auf Hochglanz polierten Treckern steht dort auch ein schwarzer Sarg. „Stopp dem Green Deal“ ist auf der daneben hängenden blauen EU-Flagge mit den goldenen Sternen zu lesen. Außerdem „Stopp dem Öko-Terrorismus“.

Jacek Sznajder, der Wert darauf legt, keiner der großen Bauernorganisationen anzugehören, erklärt: „Wir wollen niemandem mit Straßenblockaden das Leben schwer machen, sondern zeigen, was wir herstellen: gesunde Lebensmittel!“ Aber den polnischen Bauern gehe es schlecht. Die Verkaufspreise lägen unter den Produktionskosten. „Da in dem Sarg“, sagt Sznajder, „liegt einer von uns. Wenn es so weitergeht, werden wir bald alle in so einem Sarg liegen. Das war es dann mit der polnischen Landwirtschaft.“

Ähnliches sagen die Bauern in ganz Polen. Am Mittwoch demonstrieren sie in fast 600 Orten. Meist blockieren sie wichtige Zufahrtsstraßen zu größeren Städten und Grenzübergänge. Doch die Polizei hat alles im Griff, lenkt den Verkehr über Umleitungen an den Blockaden vorbei. Nur wenige Autofahrer sind genervt. Zwar haben die gigantischen Traktoren und hochmodernen Landmaschinen bei vielen Städtern den Verdacht geweckt, dass die Bauern, die sich solche Trecker im Wert von bis zu 250.000 Euro leisten können, wohl nicht so bitterarm sind, wie sie behaupten. Doch die meisten Polen sympathisieren nach wie vor mit den Bauern und ihren Protesten.

Wer ist Schuld am Preisverfall?

Auffällig ist, dass in Kattowitz keine antiukrainischen Töne zu hören sind. Im Gegenteil: neben der weißroten Nationalfahne Polens hängt oft auch die blaugelbe der Ukraine sowie die gelbblaue Oberschlesiens. Was sich in den letzten Tagen aber ändert, sind die Argumente und Forderungen der Bauern an die Regierung. Denn Wissenschaftler und Journalisten haben sich die Import-Export-Zahlen landwirtschaftlicher Produkte genauer angesehen. Sie sind zu dem Schluss gekommen, dass der Transfer oder auch Import von ukrainischem Getreide nicht schuld sein kann am Preisverfall.

Polen produzierte 2023 über 35 Millionen Tonnen Getreide, die ganze EU 280 Millionen Tonnen. Aus der Ukraine kam 2023 eine Million Tonnen und 2022 vier Millionen Tonnen Getreide über die ukrainisch-polnische Grenze in die EU – zu wenig, um einen signifikanten Einfluss auf den Preis zu haben. Der wird weltweit durch Angebot und Nachfrage auf Getreidebörsen wie etwa der MATIF in Paris gebildet.

„Wir hatten 2023 eine Nachfrage nach 25 Millionen Tonnen Getreide“, sagt Slawomir Kalinowski, einer der Autoren der Studie „Das Korn des Streits“ dem Radiosender TOk FM. „Wir haben in Polen eine Überproduktion von zehn Millionen Tonnen Getreide, die exportiert oder eingelagert werden muss“, so Kalinowski. Allerdings zeigten die Zahlen, die das Warschauer Institut für Öffentliche Finanzen zusammengestellt habe, dass die Ernten weltweit sehr gut gewesen seien und die Verkaufspreise wohl in absehbarer Zeit nicht steigen würden. „Es ist völlig sinnlos, ein Handelsembargo gegen die Ukraine zu fordern. Es würde an den Weltmarktpreisen nichts ändern.“

Sznajder scheint diese Analyse zu kennen. Er fordert mehr Schutz für polnische Bauern und ihre Produkte vor der Billigkonkurrenz aus Nicht-EU-Staaten und die Abmilderung der Green-Deal-Auflagen durch Brüssel. Zudem eine Länder-Kennzeichnungspflicht für alle Lebensmittel sowie die Angabe, wie viel Kilo Pestizide auf einem Hektar ausgebracht wurden. Dann wisse jeder, was er auf dem Teller habe.

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