piwik no script img

Im Kaufhaus mit der TochterTerrorwarnung für Hatice

Neuerdings tritt meine Tochter ständig wütend gegen ihren Staubsauger und kreischt: „Du verfluchter Terrorist!“ Das liegt natürlich nicht an mir.

Sieht doch eigentlich ganz sympathisch aus: Staubsauger Foto: Julian Stratenschulte/dpa

B esondere Zeiten bringen besondere Menschen hervor. Zum Beispiel, als ich noch ein Kind war, kannte ich nicht mal das Wort „Terrorist“.Meine kleine Tochter Hatice ist in der Hinsicht viel weiter. Mit ihren acht Jahren kennt sie schon zwei Terroristen persönlich. Genau genommen, seitdem das Kaufhaus bei uns an der Ecke wegen einer Terrorwarnung geräumt werden musste.

An dem denkwürdigen Tag hatte ich zusammen mit Hatice das Kaufhaus gerade betreten, als über Lautsprecher eine akute Terrorgefahr verkündet wurde und die Besucher dringend gebeten wurden, sofort das Kaufhaus zu verlassen.

Hatice war unglaublich enttäuscht und verärgert, da sie ja gezwungen wurde, den Laden mit leeren Händen zu verlassen. „Papa, was ist denn Terrorgefahr?“, fragte sie mich mit funkelnden Augen. Um Hatices zarte Kinderseele nicht zu kränken, stammelte ich:

„Ehm… öh… Terrorgefahr ist… Terrorgefahr… Das heißt: heute gibt’s keine Süßigkeiten! Wir müssen hier sofort raus!“ Ich weiß nicht, ob Hatice sich mit dieser Erklärung zufriedengegeben hätte, aber da goss eine hysterische Oma zusätzlich literweise Öl ins Feuer, in dem sie wie am Spieß brüllte:

„Hiiilfeeee… Terroristen… Überall nichts als verdammte Terroristeeeenn!“

„Was sind denn Terroristen, Papa?“

„Was Terroristen sind, fragst du?“ Ich dachte an IS, Al Kaida, NSU und Hatices zarte Kinderseele und rief: „Das da! Das ist ein Terrorist!“

„Was? Die Putzfrau, Papa?“

„Nein. Der Staubsauger! Siehst du denn nicht, wie gefährlich das Ding ist?“ Die Putzfrau mit dicken Schweißperlen im Gesicht rannte gerade panisch durch den Laden und schleifte dabei einen riesigen Staubsauger hinter sich her. „Hatice, was meinst du, was alles Schlimmes passieren kann, wenn dieser Terrorist jetzt jemanden am Fuß trifft! Deswegen müssen wir jetzt alle raus. Lauf! Lauf! Hörst du die Durchsage nicht, die wiederholen sie jetzt schon zum dritten Mal!“

Kurz vor der vierten Wiederholung hatte ich plötzlich einen genialen Geistesblitz und nahm die Terrorwarnung mit meinem Handy auf. Und jetzt, immer wenn Hatice mich mit einer langen Süßigkeiten-Liste in der Hand zu unserem großen Kaufhaus hinter sich her­zerrt, ertönt bereits am Eingang eine hektische Terrorwarnung: „Achtung, Achtung! Terrorgefahr! Bitte verlassen Sie umgehend unsere Geschäftsräume! Bitte räumen sie sofort den Laden!“ Uns beiden bleibt natürlich nichts anderes übrig, als wieder umzukehren. Ohne Süßigkeiten.

Meine Frau Eminanim wundert sich seit einiger Zeit, weshalb Hatice ständig wütend gegen ihren Staubsauger tritt und kreischt: „Du verfluchter Terrorist! In der Hölle sollst du schmooooren!“

Wie gesagt, in Hatices Alter kannte ich nicht mal das Wort „Terrorist“. Meine Tochter kennt zwei Terroristen höchstpersönlich. Einen im Kaufhaus, einen zu Hause.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!