Überall nur Pisse, Kotze und Unrat

Vergangene Liebe: Kati von Schwerin rechnet in ihrem Buch „Berlin? Ja, wir hatten mal was“ mit der Stadt ab

Von Andreas Hartmann

Mit Berlin hat Kati von Schwerin abgeschlossen. Die Künstlerin, Musikerin und Autorin, die sich auf ihrer Homepage selbst als full media pop artist tituliert, hat nach zwölf Jahren die Stadt verlassen und lebt nun mit Partner und Hund irgendwo in Ostfriesland. Nach der Hölle also im Paradies.

Zum Abschied hat sie das Büchlein „Berlin? Ja, wir hatten mal was“ verfasst, „eine Abrechnung“, wie es im Untertitel heißt. Und das ist es fürwahr. Die Autorin beschreibt eine völlig überschätzte, seelenlose und kaputte Stadt, in der nichts funktioniert und die von eitlen und emotional verwahrlosten Menschen bevölkert ist. Die wichtigsten stilistischen Mittel in von Schwerins Schreibe sind Ironie und Übertreibung. Dennoch vermittelt sich beim Lesen das Gefühl, dass sie ihren hochtourigen Rant im Kern nicht nur als bloßen Witz verstanden haben möchte.

Das Grundproblem ist: Es wird überhaupt nicht klar, warum sich die Autorin überhaupt einmal in Berlin verliebt hat. Gerahmt ist die Schimpftirade auf die deutsche Hauptstadt von Sitzungen bei einer Paartherapeutin. Auf deren Couch sitzen die Autorin und der faule, nichtsnutzige, wahrscheinlich mal wieder zugekiffte und vom zu vielen Feiern im Gehirn matschige Berliner Bär, der den Mund nicht aufkriegt. Also redet eben sie und berichtet, was sie an der extrem brüchig gewordenen Beziehung so alles stört. Jede Menge ist das. Selbst wenn man im Hinterkopf hat, dass sich auch Gegensätze anziehen können, fragt man sich als Leser schon, wie und warum um Himmels willen diese beiden jemals ein Paar werden konnten.

Von Schwerin hatte in Düsseldorf Kunst studiert und war Meisterschülerin von Großkünstler Markus Lüpertz. Danach begann sie ein Studium der Philosophie, das sie in Berlin beendete. Die Gräfin aus Düsseldorf scheint aber nie wirklich angekommen zu sein. In Neukölln sei sie nur ein einziges Mal gewesen, schreibt sie, was für zwölf Jahre Aufenthalt in der Stadt bemerkenswert ist. Sie habe dafür nun mal ihre Gründe: Ghetto, „brennende Autos, Klappmesser und Schießereien“ hatte sie im Kopf, als sie mit dem Auto einmal durch den Bezirk fuhr und an diesem Bild sollte sich auch nichts ändern. Wer sich freilich derart ignorant durch die Stadt bewegt, kann sich gar nicht jemals in ihr heimisch fühlen.

Und dieses Neukölln findet von Schwerin ständig in der Stadt – an allen Ecken und Enden nur Pisse, Kotze und Unrat. Der Prenzlauer Berg, in dem sie lange wohnte, ist für sie wie Malle und irgendwann unerträglich. Rätselhafterweise zieht sie von dort dann nach Mitte, obwohl der Bezirk vorab bereits als verschnöselte No-Go-Area beschrieben wurde.

Letztlich erfährt man in ihrer Abrechnung mehr über die Autorin selbst als über die Stadt. Und denkt sich: Wirklich anstrengend ist eigentlich nicht der gemütliche Bär, sondern diese Frau. Egal, wo sie wohnt, ist sie genervt von ihren Nachbarn neben, unter, über ihr. Selbst wenn sie in Potsdam landet, um in einem Edelrestaurant von Tim Raue zu speisen, erweisen sich die Bedienung und überhaupt alles auch wieder nur als eine einzige Katastrophe. Sogar in der brandenburgischen Landeshauptstadt benimmt man sich schon wie in Berlin.

Von Schwerin wirkt manchmal auch etwas verwirrt. Sie möchte durchstarten als Indie-Musikerin, verachtet die seelenlosen Major-Labels, wird aber gleichzeitig ganz wuschig, als sie die Chance wittert, bei einer richtig großen Plattenfirma unterzukommen. Endgültig klar wird, dass sie das Problem ist und nicht Berlin, als sie die ganze Stadt mit den Beatles vergleicht, das aber negativ meint. Mit den Beatles! Hey, Berliner Bär, sei froh, dass du die Frau los bist.

Kati von Schwerin: „Berlin? Ja, wir hatten mal was – eine Abrechnung“. Emons Verlag, Köln 2023, 160 S., 15,50 Euro