Sollten sich Fe­mi­nis­t*in­nen überhaupt mit ihrem Aussehen beschäftigen?

Keine Feministin, aber Rolemodel: Mode-Unternehmerin Kim Kardashian  Foto: Shaniqwa Jarvis/The NewYorkTimes/laif

nein

Kann ich noch Feministin sein, wenn ich mich schminke, mir Botox spritzen lasse, nicht zu meinem dicken Bauch stehe? Wen Fragen wie diese umtreiben, lebt womöglich am Feminismus vorbei.

Die US-amerikanische Autorin bell hooks definiert Feminismus kurz und knapp als „Bewegung, um Sexismus, sexuelle Ausbeutung und sexuelle Unterdrückung zu beenden.“ Feminismus will das Patriarchat abschaffen. Feminismus muss also systemverändernd sein. Eine glatte Stirn trägt dazu weder bei noch stört sie – sie ist einfach nicht zentral. Dennoch reden wir ständig über das Aussehen.

Natürlich ist Schönheit als Konstrukt ein feministisches Thema. Welche Körper gelten als schön? Warum? Wer definiert das? Naomi Wolf beschrieb schon vor 30 Jahren, dass der Mythos Schönheit ein Auswuchs des Patriarchats sei. Mit zunehmendem Zugang von Frauen im Westen zum Arbeitsmarkt sei ihnen neben Care- und Erwerbsarbeit eine dritte Schicht auferlegt worden: die Schönheitsarbeit, die im Prinzip nie ein Ende findet, denn keine ist perfekt.

Frauen, so Wolf, seien den Schönheitsmythos erst dann los, wenn sie sich wirklich frei entscheiden könnten, was sie mit ihrem Gesicht und Körper anstellen. Eine freie Entscheidung ist aber eine vage Sache in einem System, das Schönheit belohnt. Das Nicht-Streben nach Schönheit könnte für Frauen zu finanziellen Nachteilen führen, pretty privilege ist hier das Stichwort. Frauen verdienen mehr, wenn sie gut aussehen. Männer auch, nur ist bei ihnen ist die Definition von schön sehr breit. Bei Frauen heißt sie: jung, schlank, mädchenhaft. Das ist kein Zufall. Alte Frauen sind stärker, erfahren. Sie haben gelernt, zu widersprechen.

Wir werden aber alle alt. Warum sollten Frauen sich mit dem Jungbleiben stressen? Schönheitsarbeit ist Arbeit, deshalb wirken Menschen, die sich dieser Arbeit verweigern, auch immer sehr lässig. Menschen, die sagen: Ich lasse alle Falten zu, ich scheiß auf die Normen, ich lasse meine Bein- und Achselhaare wachsen. Sie widersetzen sich sichtbar dem Schönheitsdruck, und das wirkt sehr cool. Aber letztlich ist auch das erst einmal nur Styling. Eine Person kann wie ein*e Vor­bild­fe­mi­nis­t*in aussehen, sich aber wie ein unsolidarisches A*loch verhalten. Ein*e Ge­nos­s*in mit immer perfekt gemachten Nägeln kann für die feministische Sache die härtesten Krallen ausfahren.

Es gibt keine Definition davon, wie eine gute Fe­mi­nis­t*in auszusehen hat. Dementsprechend kann kein Aussehen feministisch oder unfeministisch sein. Das hält natürlich keinen Menschen davon ab, diese Verbindung immer wieder herzustellen. Leute sagen: „Die sieht aus wie eine Emanze!“ Und Thomas Gottschalk sagt in Bezug auf die deutsche Rapperin Shirin David, dass es ja wohl kein Zeichen von Feminismus sei, „wenn man sich hübscher machen lasse.“ Was macht eine Person wirklich zur Feminist*in, das ist doch die Frage. Was heißt es, feministisch zu leben?

Für die Autorin Sara Ahmed ist Feminismus eine Störung, Fe­mi­nis­t*in­nen seien deshalb immer in der Rolle der Spaßbremse, der killjoys. Das, worauf sich alle geeinigt haben, was die Norm ist, wird von Fe­mi­nis­t*in­nen in Frage gestellt. In ihrem „killjoy manifesto“ schreibt Ahmed etwa als Grundsatz: „Ich bin nicht gewillt, dazuzugehören, wenn Zugehörigkeit bedeutet, einem System anzugehören, das ungerecht, gewalttätig und ungleich ist.“ Das ist ein harter Punkt, bezieht man ihn etwa auf den Ort, an dem man arbeitet und Geld verdient. Führen meine feministischen Grundsätze womöglich dazu, einen Job zu kündigen? Kann man Organisationen wirklich nicht von innen heraus verändern? Unter welchen Bedingungen doch?

Feministisch handeln ist der Versuch, sexistische Strukturen zu verändern – der Schönheitsmythos ist so eine Struktur. Welches Verhalten, welche Aktionen sind dazu geeignet, hier etwas zu verändern? Ich persönlich habe Zweifel daran, dass normkonformes Styling ein widerständiges Potential hat. Sich anzupassen ist aber auch in Ordnung, natürlich. Naomi Wolf meint, es sei noch immer unmöglich für eine Frau, richtig auszusehen. Erst, wenn man das einmal verstanden habe, könnten wir endlich darauf achten, was die Frau sagen wolle. Wir sollten mehr darauf achten, was gesagt und getan wird, als wie wir dabei aussehen. Feminismus ist keine Frage des individuellen Looks. Feminismus ist eine Frage der kollektiven Emanzipation. Katrin Gottschalk

ja

Zwar verstehe ich den Wunsch nach einer Welt ohne Vergleiche, in der Schönheit und Aussehen keine Rolle mehr spielen. Doch diese Welt existiert nicht.

Schönheit und Aussehen sollten nicht zum Mittelpunkt der eigenen Existenz gemacht werden. Dennoch spielen sie eine Rolle in den Fragen: Wer erhält Zugang zu welchen Berufen und finanziellen Vorteilen? Wer darf sprechen und erhält Sichtbarkeit? Wessen Sicherheit ist zusätzlich bedroht?

Die Diskussionen um Schönheit findet zumeist aus einer privilegierten Perspektive statt. Wenn unser Feminismus intersektional sein soll, müssen wir die Lebensrealitäten vieler mitdenken und ihren Blick auf Schönheit.

Für mich persönlich hat mein Aussehen Bedeutung darin, wie ich als Frau wahrgenommen werde, aber auch Rassismus erlebe. So wurde mir gesagt, der hellere Braunton einer Freundin sei sowieso der allerschönste. So dunkel wie mein Vater, das fänden andere hässlich. Und ich sei aber hübsch für eine Schwarze. Mein Aussehen ist in dem Sinne auch politisch. Nicht nur in der Frage, ob ich mich schön mache, sondern auch, welchem Ideal ich folge. Ob ich aus einem Gefühl von Sicherheit versuche, mich an eine akzeptierte Vorstellung anzupassen oder daraus auszubrechen.

Was wir als schön ansehen und was wir mit Aussehen von Menschen verbinden, ist nicht universell. Im ersten Eindruck zählt der oberflächliche Blick. Egal, wie wer handelt, immer sieht man auf irgendeine Art und Weise aus und andere ordnen es ein. Sie packen das, was ei­ne*n auf den ersten Blick vermeintlich ausmacht, in Boxen und versuchen, eine Person als Ganzes zu erfassen. Vom Aussehen lesen Menschen viel voneinander ab. Sie schließen auf Alter, Herkunft, Femininität und Maskulinität, sexuelle Orientierung, Armut und Reichtum, Intelligenz und körperliche Fähigkeiten. Dagegen ist nichts zu machen. Und es wäre kein Problem, würden nicht vorschnelle Annahmen zu Ausgrenzung und Diskriminierung führen.

Ignorieren wir die Rolle von Aussehen, weil wir doch alle Fe­mi­nis­t*in­nen sind, ist das wie zu sagen: „Ich sehe keine Hautfarben“, weil wir doch alle Menschen seien. Es ist, als würden wir nicht über Colourism reden, weil Rassismus grundsätzlich problematisch ist. Das ist ignorant gegenüber anderen Lebensrealitäten.

Für mehrfach marginalisierte FLINTA* verzahnt sich das Thema Aussehen mit anderen Diskriminierungsformen. Dann, wenn FLINTA* vorgeschrieben wird, wie sie mit ihrem Aussehen umgehen, ob sie ein Kopftuch tragen dürfen oder eines tragen müssen. In der Frage, wem ein Frau­sein zugesprochen wird. Inwieweit erfahren trans* Frau­en oder trans­* Män­ner Akzeptanz, wenn sie nicht ein Geschlechts- und Schönheitsideal erfüllen? Inwieweit erfahren sie dann mehr Diskriminierung und was machen wir als Gemeinschaft dagegen? Wenn Menschen vor einem vermeintlich unangepassten Auftreten zurückschrecken, ist es unsere Pflicht, auch das zum Diskurs zu machen.

Und nicht darauf zu warten, dass eine bestimmte Körperform, bestimmter Haarstil erst durch Kim Kardashian normalisiert wird. Oder dass bodenlange Kleider in Kombination mit einem Kopftuch bei der weißen Schauspielerin Anya Taylor zur Premiere von Dune 2 gefeiert werden, während Schü­le­r*in­nen in Frankreich das Tragen einer Abaya verboten wird. Wer bestimmt den Diskurs, was gesellschaftlich als schön empfunden wird?

In diese Machtstrukturen muss unser Feminismus einhaken. Wenn wir also über Schutz vor Gewalt sprechen, über Ungleichbehandlung in der Arbeitswelt, über Selbstbestimmung unserer Körper, dann müssen wir auch über das vermeintlich Äußerliche sprechen.

Dafür müssen wir Diskriminierungsformen und Missstände, die FLINTA* aufgrund ihres Äußeren erfahren, zunächst anerkennen und immer wieder beleuchten. Dann können wir über die Ungleichverteilung von Kapital sprechen, darüber, wie sich gesetzliche Rahmenbedingungen von Grund auf ändern müssen. Aber zugleich Lösungen dafür suchen, dass zwar mehr Frauen in bedeutende Positionen kommen, Be­wer­be­r*in­nen mit Kopftuch oder hyperfemininen Aussehen dennoch geringere Chancen haben. Wir können fordern, dass Täter härter belangt werden müssen, statt Opfer in Gruppen aufzuteilen, denen mehr oder weniger geglaubt wird – je nach Aussehen. Dadurch kann das Sprechen zu einem intersektionalen Feminismus mit vielfältigen Perspektiven anregen. Denn Missstände sind nie losgelöst vom Äußeren. Adefunmi Olanigan