Ausgehen und rumstehen von Stephanie Grimm
: Nachbarschaftstipps für die heimische Insel

Manchmal muss man verreisen, um seine Nachbarschaft besser kennenzulernen. Wobei ich nach 18 Jahren und dazu noch den endlosen Lockdown-Spaziergängen eigentlich dachte, jeden Stein auf der Roten Insel zu kennen. Insofern war ich arg erstaunt, als ein Bekannter erzählte, er gehe fast jeden Freitagabend bei mir ums Eck in einen Plattenladen, weil es da immer so vergnüglich zugehe. Wir hatten uns auf einer Atlantikinsel kennengelernt und tauschten erst mal Berliner Eckdaten aus. „Pop“ heiße der Laden auf der Yorckstraße. Kann nicht sein, da radele ich jeden Tag lang. Ist das neu? Nöö, mindestens zehn Jahre gibt es den. Hmm, seltsam.

Da ist tatsächlich ein Plattenladen, stelle ich Wochen später fest, als ich aus einer ungewohnten Verquickung von Gründen einen Abschnitt entlanggehe, den ich auf meinen täglichen Wegen immer umschiffe. Einfach weil die Yorckstraße ein unwirtlicher Ort ist und man gut beraten ist, schnell wieder abzubiegen. Nun ist es aber mitten in der Nacht, der Laden hat natürlich zu.

Ein paar weitere Wochen später steht sie dann aber wirklich an, die Kontaktaufnahme zum lokalen Plattenhändler. Besagter Bekannter feierte dort am Freitag Geburtstag, dazu spielt eine Berliner Institution, die Skaband Skalitzer. Der Laden ist klein, die Band braucht Platz, und voll ist es zudem – weswegen ich zunächst von draußen durch die Scheibe gucke. Was vergnüglich ist, so ein Blick ins Aquarium an diesem fast lauen Abend. Zwei Abende zuvor war es noch arschkalt gewesen. Von draußen klingen die Skalitzer zunächst eher osteuropäisch-melancholisch, mehr nach Polka als nach Ska. Ein Verein ist Veranstalter dieser freitäglichen Zusammenkünfte. Mal gibt es einen DJ, dann wieder eine Ausstellungseröffnung, erfahre ich später. Getränke muss man mitbringen. Doch zum Späti sind es ja nur 50 Meter. Wenigstens das weiß ich, schließlich wohne ich hier.

Nach zwei Stunden ist es immer noch schön lustig. Eine erquickliche Mischung aus Nachbarschaftstreff und Musikgelausche. Vielleicht werde ich gar Vereinsmitglied. Das wäre wirklich mal eine Premiere.

Auf den Geschmack gekommen, suchen wir am nächsten Abend zwecks Bespaßung wieder einen Plattenladen auf. Im Friedrichshainer HHV stellt Reverend Dabeler seine „Frankfurter Jazzrockschule“ vor, wunderbarsten Daddelfunk. Er zeigt sich verwundert, dass sich die Leute vor ihn und sein Tasteninstrument stellen, um zuzuhören – das sei doch Hintergrundmusik. Na gut, da hinten steht ein Polstermöbel, gucken wir eben von da aus zu. Die meisten Gäste schauen dem Reverend weiter auf die Finger. Ist schließlich auch toll, was er da anstellt. Die Stücke tragen Titel wie „Funk G-Dur“ oder „Bossa D-Moll“ und verbreiten angenehme Wohligkeit. Wie gemein, dass der Laden pünktlich um 20 Uhr schließt – gerade, wo man es sich hier gemütlich gemacht hat. Vielleicht müssen die auch mal einen Verein gründen.

Ein paar Wochen später steht sie dann an, die Kontaktaufnahme zum lokalen Plattenhändler

Also weiter ins „ausland“. Der Club feiert gerade sein 22-jähriges Bestehen. So alt ist auch schon die Avantgarde-Reihe Biegungen, bei der später das Trio Dorn Elgart Lucaciou, unterstützt vom Faust-Organisten Hans-Joachim Irmler, einen wirklich tollen Auftritt haben werden. Doch erst ist das Duo Ludwig Wittbrodt dran, sie stellen ihr neues Album vor. Die Cellistin Emily Wittbrodt verfremdet dabei ihr Instrument, ohne ihm seine warme Wohligkeit zu nehmen; Edis Ludwig, dem man schon mal als Schlagzeuger der Düsseldorf Düsterboys begegnen konnte, steuert Elektronik bei. Die Stücke wuchern und wabern schön vor sich hin. Und biegen trotzdem öfter unvermittelt ab. Letzteres müsste ich auch öfter tun. Wer weiß, was es in meinem Kiez noch zu entdecken gibt.