Konferenz der Welthandelsorganisation: Die WTO kommt nicht voran
Die Konferenz der Welthandelsorganisation einigt sich in vielen Fragen nicht. Nur das Zollverbot für digitale Güter wird verlängert.
Damit ähnelte die Konferenz in Abu Dhabi vielen ihrer Vorgänger. Seit mehr als zwanzig Jahren stagniert ein Großteil der WTO-Verhandlungen. Dabei ist die Organisation alles andere als belanglos: Drei Viertel des globalen Handels basieren auf ihren Regeln. So wissen die großen Wirtschaftsverbände der EU und USA genau, was sie an ihr haben: Während der Verhandlungen luden der Verband schwedischer Unternehmen, BusinessEurope und die US Chamber of Commerce zu Drinks und Häppchen ein, um über die Bedeutung der WTO zu sprechen. „Es geht um Vorhersagbarkeit und Stabilität“, sagte eine Vertreterin von Ikea.
Viele Unternehmen wünschen sich ein permanentes Zollverbot für digitale Güter wie Musik, Filme und E-Books. Stattdessen beschloss die Versammlung jedoch wieder nur die Verlängerung des sogenannten „E-Commerce-Moratoriums“ um zwei Jahre. Selbst das war hart umkämpft: Indonesien, Indien und Südafrika gehören zu jenen Staaten, die Zölle einführen möchten, um ihre Märkte vor der Big-Tech-Konkurrenz zu schützen. So ist der Kompromiss beispielhaft für die Art und Weise, wie sich die WTO seit mehr als zwei Jahrzehnten an zentralen Streitpunkten entlanghangelt. Bereits 1998 beschloss sie das Zollmoratorium für digitale Güter, das seitdem alle zwei Jahre neu bestätigt werden muss, bis es zu einer permanenten Einigung kommt.
Auch bei einer langen Liste an strittigen Agrarthemen besteht der einzige Konsens darin, dass weiter verhandelt werden soll. So fordern die „Cotton Four“-Staaten Benin, Burkina Faso, Mali und Tschad, deren Wirtschaft vom Baumwollexport abhängig sind, seit Langem den Abbau von Baumwollsubventionen in den USA, China und Indien. Doch sie bissen auch in Abu Dhabi auf Granit. Für besonderen Sprengstoff sorgte die „öffentliche Lagerhaltung“, bei der Indien seit 2013 eine Ausnahmeregelung genießt: Dort darf der Staat die heimische Produktion von Reis und Weizen stark fördern, was offiziell mit Ernährungssicherheit begründet wird. Doch das Land ist inzwischen auch der größte Reisexporteur der Welt – und will trotzdem, dass die eigene Praxis nicht mehr nur temporär, sondern permanent anerkannt wird. Thailand, wiederum der zweitgrößte Reisexporteur der Welt, hat Indien dafür unter Applaus zahlreicher anderer Delegationen scharf kritisiert. Die Frage, wer unter welchen Bedingungen besagte „öffentliche Lagerhaltung“ betreiben darf, wird bei der nächsten Konferenz in Kamerun erneut zum Thema werden.
Konflikte auf allen Seiten
Dabei verlaufen die Konfliktlinien in der WTO längst nicht mehr so klar, wie sie häufig gezeichnet werden: Es streiten nicht die Industriestaaten auf der einen und die Schwellen- und Entwicklungsländer auf der anderen Seite, sondern alle miteinander. Auffällig ist dabei der fehlende Konsens innerhalb der BRICS-Gruppe, die aus Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika besteht. Die oft als neuer Machtblock beschriebenen Staaten gehörten zwar auch in Abu Dhabi zu jenen, die in den allerletzten Runden mit den USA, der EU, Großbritannien und anderen verhandelten, während die Delegationen der Entwicklungsländer längst draußen warteten. Doch es waren Indien und Südafrika, die sich gegen ein Investitionsabkommen wehrten, das China maßgeblich unterstützt hatte. Die EU-Kommission zeigte sich nicht nur über das Verhalten Indiens verärgert, sondern beklagte den grundsätzlich fehlenden „Kooperationsgeist“, insbesondere größerer Staaten. „Mehr als 160 Länder haben sich etwas anderes gewünscht“, sagte eine Kommissionsvertreterin mit Blick auf die aufgrund der USA gescheiterten Verhandlungen zur Reform des Streitschlichtungsverfahrens.
Trotz der Schwierigkeiten ist die WTO die einzige multilaterale Wirtschaftsorganisation, bei der im Gegensatz zum Internationalen Währungsfonds und der Weltbank alle Mitglieder das gleiche Stimmrecht haben. Zumindest theoretisch stärkt dies die Verhandlungsmacht von kleineren und ärmeren Staaten. Als neue Mitglieder wurden in Abu Dhabi Osttimor und die Komoren begrüßt. Immerhin, darin waren sich die Länder einig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung
Aktionismus nach Magdeburg-Terror
Besser erst mal nachdenken