AfD in Brandenburg: Lübben und das Spiel mit der Angst
Eine geplante neue Unterkunft für Geflüchtete in der Spreewaldstadt sorgt für Unruhe. Eine Bürgerinitiative mit AfD-Kontakten macht Stimmung.
Mitte Februar versammelten sich 20 bis 30 Menschen vor der geplanten Unterkunft und brachten A4-Plakate gegen Migration am Bauzaun an, kurz darauf tauchte dort ein Holzschild mit einem volksverhetzenden Spruch auf. Weitere rassistische Taten folgten, unter anderem auch Morddrohungen gegen die Familie, die das Grundstück für den Bau der Unterkunft zur Verfügung gestellt hat.
Nun ermittelt der polizeiliche Staatsschutz. Zwar seien nicht alle Äußerungen strafrechtlich relevant, sagt Maik Kettlitz, Sprecher der zuständigen Polizeidirektion Süd in Cottbus, zur taz. Doch „vom Anbringen von Flugblättern bis zur offenen Gewaltandrohung ist es ein weiter Schritt“. Die Polizei versucht, diese Dynamik zu unterbrechen, hat ihre Präsenz nun erhöht und steht im Austausch mit der Familie, so Kettlitz weiter.
Seit dem Frühjahr 2023 ist bekannt, dass in Lübben eine zweite Unterkunft für Geflüchtete entstehen soll, woraufhin die Bürgerinitiative (BI) „Unser Lübben“ mit Unterstützung der AfD gegründet wurde. Die BI verteilte Hunderte Flyer in AfD-Farben und organisiert seit Mai Demonstrationen und Kundgebungen in Lübben.
20 bis 30 Menschen brachten A4-Plakate gegen Migration am Bauzaun an
Zentrale Figur der BI ist die Lübbenerin Nancy Schendlinger. Sie ist Sprecherin auf allen Kundgebungen, aber auch AfD-Funktionäre hielten Reden, darunter Hans-Christoph Berndt und Steffen Kotré.
Berndt ist seit Oktober 2020 Fraktionsvorsitzender der AfD im brandenburgischen Landtag und Gründer des „erwiesen rechtsextremistischen“ Vereins Zukunft Heimat, der rassistische Demonstrationen in Cottbus und Umgebung organisiert. „Mit einem vermeintlich bürgerlichen Auftreten trägt Zukunft Heimat dazu bei, rechtsextremistische Inhalte zu normalisieren und gesellschaftlich anschlussfähig zu machen“, schrieb der Verfassungsschutz im Jahr 2022.
Im November fand eine Kundgebung der BI zeitgleich mit dem Wahlkampfabschluss der AfD für die Landratswahl im Landkreis Dahme-Spreewald statt. Der AfD-Kandidat Steffen Kotré erreichte im ersten Wahlgang beachtliche 35 Prozent und verlor erst in der Stichwahl gegen den parteilosen Kandidaten Sven Herzberger.
Am 1. März, dem Tag der Amtseinführung des neuen Landrats, dringt die Sonne kaum durch den Hochnebel, es ist kühl. Auf dem Marktplatz sind mehr Stände als Menschen. Auf die Frage nach der Situation in Lübben reagieren sie knapp mit „Bin nicht von hier“ oder „Bin vom Dorf“.
Laut dem Brandenburger Ministerium für Soziales wird es 2024 ein Aufnahmesoll von 1.202 Personen geben
Eine Verkäuferin in einem Bekleidungsladen ist gesprächiger: „Die Mütter haben Angst“, sagt sie bestimmt, „Angst um ihre Kinder.“ Man wisse ja nicht, was kommt, aber: „Es braut sich was zusammen.“
Das Brandenburger Ministerium für Soziales hat dem Landkreis Dahme-Spreewald für 2024 ein Aufnahmesoll von 1.202 Personen mitgeteilt. In Lübben mit seinen 14.000 Einwohner*innen machen die 64 Geflüchteten 0,5 Prozent der Bevölkerung aus. Sollten alle 100 Plätze der geplanten zweiten Unterkunft belegt werden, läge ihre Quote bei 1,3 Prozent.
Der Sozialdezernent des Landkreises, Stefan Wichary, empfängt im lichtdurchfluteten Verwaltungsgebäude am Stadtrand. Der gemütliche Herr mit Bart ist für die vorläufige Unterbringung der Geflüchteten zuständig. Er bestätigt, dass eine Unterkunft in Modulbauweise mit voraussichtlich 100 Plätzen errichtet und dem Landkreis im zweiten Quartal dieses Jahres übergeben werden soll.
„Dass jetzt diese neue Situation so eskaliert, liegt offensichtlich auch daran, dass dort Ängste geschürt wurden, die vorher nicht bestanden haben.“ Im Oktober hat er mit seinen Mitarbeiter*innen ein Gespräch mit der Bürgerinitiative geführt. „Wir haben dort alle Fragen beantwortet. Wir haben aber danach gemerkt, dass das am Agieren der Bürgerinitiative nichts geändert hat.“
Von den Morddrohungen distanzieren sich Schendlinger und Gosdschan
Alle Informationen würden so schnell wie möglich kommuniziert, um auch die Bürger*innen zu erreichen, die „jetzt etwas verunsichert sind“. Wenn der Eröffnungstermin steht, möchte er zusammen mit der Stadt Lübben eine Informationsveranstaltung mit den öffentlichen Einrichtungen vor Ort und einigen Nachbar*innen durchführen sowie bei der Inbetriebnahme einen Tag der Offenen Tür organisieren. „Bis dahin heißt es leider: durchhalten“, fügt er hinzu. „Wenn wir mehr Zeit darin investieren würden, das als Bereicherung zu sehen und als Möglichkeit, dort zu helfen, dann wären wir alle schon einen deutlichen Schritt weiter.“
Carsten Saß ist Mitglied im Gemeindekirchenrat. „Lübben hat seit 30 Jahren Erfahrung mit Asylbewerbern, Flüchtlingen und internationalen Zugezogenen aller Art“, sagt er bedächtig. „Insofern bin ich da ein bisschen überrascht, dass jetzt durch die Unterbringung von 80 bis 90 Asylbewerbern plötzlich durch interessierte Kreise Ängste konstruiert werden.“ Die große Kundgebung für Demokratie und Vielfalt, die das neue Bündnis „Buntes Lübben“ Ende Januar veranstaltet hat, war für ihn ein ermutigendes Signal. Er will deutlich machen: „Wer auch immer hierher kommt, ist in Lübben willkommen.“
Die BI „Unser Lübben“ hat zuletzt am 27. Februar eine Kundgebung veranstaltet. Dieses Mal geht es aber nicht um die geplante Unterkunft, sondern wolkig um eine „Neuausrichtung der Politik“. Nancy Schendlinger beschwört einen Schulterschluss zwischen Bauern, Gewerbetreibenden, Handwerker*innen und Bürger*innen, zusammenhalten sei das Gebot der Stunde.
Bei dieser Kundgebung der BI waren allerdings auch Steffen Kotré und Hans-Christoph Berndt im Publikum. Berndt hatte die Kundgebung auf seinem Facebook-Profil beworben.
Das Geld werde weniger, die Leute seien unzufrieden
Ein weiterer Redner und Mitglied der BI ist Rainer Gosdschan, der in Lübben ein Sportgeschäft betreibt und Werbung gestaltet. Als man ihn spontan in seinem Geschäft aufsucht, lässt Gosdschan erst mal Dampf ab.
Die Kosten seien durch Corona und den Ukrainekrieg gestiegen, er könne seine Leute nicht ordentlich bezahlen, mehrere Betriebe hätten schon Insolvenz angemeldet. Kurz darauf taucht Schendlinger auf. Ein verwirrendes Weltbild tut sich auf: Das Geld werde weniger, die Leute seien unzufrieden, Arbeit müsse sich wieder lohnen. Gosdschan zeigt einen Gruppenchat mit etwa 300 Teilnehmenden, in dem Panik verbreitet wird. Mütter hätten Angst um ihre Kinder, heißt es wieder, der Zaun sei nicht hoch genug, man müsse der Familie, die ihr Grundstück für Flüchtlinge zur Verfügung stellen, die gesammelten Beschwerden in den Briefkasten werfen.
Von den Morddrohungen distanzieren sich Schendlinger und Gosdschan. Beide wollen die BI neu ausrichten und als parteilose Kandidat*innen bei der Kommunalwahl im Juni in Lübben antreten. Niemand in der BI sei Mitglied in der AfD. Im Nachgang des chaotischen Gesprächs besteht Schendlinger auf die „Nichterteilung der Freigabe des nicht stattgefundenen und zuvor unangemeldeten Interviewtermins“.
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