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Gewaltschutz in Bremen unterfinanziertAuf der Wartebank

Beratungsstellen für Opfer häuslicher Gewalt fehlt es an Geld. Die Einrichtung „Neue Wege“ hat deshalb einen Aufnahmestopp für neue Fälle verhängt.

Betroffene von häuslicher Gewalt müssen in Bremen oft lange warten, bis sie Rat und Hilfe bekommen Foto: Fabian Sommer/dpa

BREMEN taz | Schön greifbar sind sie, die Forderungen des Feministischen Streiks Bremen für den Frauenkampftag in diesem Jahr: Schutz vor Gewalt ist das übergeordnete Thema – und was das Land konkret für die Betroffenen tun müsste, das hat das Bündnis im Detail aufgezeigt.

Betroffene häuslicher Gewalt müssen zwölf Wochen auf Beratung warten

Es geht, natürlich, um Geld. Eine Liste mit Forderungen hatte das Bündnis am Mittwochnachmittag schon mal an die Abgeordneten im Gleichstellungsausschuss übergeben. Zahlreiche Bremer Institutionen, die Gewaltbetroffene betreuen, klagen über mangelnde Finanzierung und lange Wartelisten.

Prägnant ist der Fall der Beratungsstelle „Neue Wege“: Die hat schon seit Dezember einen kompletten Aufnahmestopp für neue Fälle verhängt. „Wir kamen einfach nicht mehr hinterher“, erklärt Carsten Flömer, Vorstand des Trägervereins „Reisende Werkschule Scholen“. „Die Wartelisten liefen über.“

Neue Wege richtet sich an Opfer, aber auch an die Tä­te­r*in­nen häuslicher Gewalt. Therapeutisch soll aufgearbeitet werden, woher die Gewalt kommt und was sich an der Lage ändern lässt. Richtig hochgegangen ist die Zahl der Beratungen ab 2020.

Fallzahlen steigen, Finanzierung nicht

Nach der Neugestaltung des Bremer Polizeigesetzes hatte sich die Einrichtung entschieden, als sogenannte Interventionsstelle zu fungieren: Nach jedem Polizeieinsatz im Bereich der häuslichen Gewalt soll sie nun die Betroffenen kontaktieren und ein Beratungsangebot machen. Die Zahl der Beratungsanfragen sei seitdem um mehr als siebzig Prozent angestiegen, teilt die Einrichtung mit. Pro Jahr würden nun rund 1.800 Personen kontaktiert, mehr als 400 von ihnen nähmen das Angebot an.

Für die Institution kam also eine riesige öffentliche Aufgabe hinzu; dauerhaft gegenfinanziert wurde sie aber nicht: In den Jahren 2019 bis 2023 war das Budget zwar um rund 40 Prozent gestiegen, doch diese Förderung war weder von Dauer noch ausreichend: Schon bis 2023 mussten Beratungsfälle lange vertröstet werden, bis zu zwölf Wochen blieben sie auf der Warteliste. „Das ist bei niedrigschwelligen Angeboten ein riesiges Problem“, so Flömer. „Die Bereitschaft, in ein Gespräch zu gehen, sinkt enorm, wenn der Vorfall lange her ist.“

Ende 2023 hat sich das Problem von zwei Seiten verschärft: Der Teil der Förderung aus dem Coronafonds fiel weg – obwohl die Fallzahlen häuslicher Gewalt weiter stiegen. Und: Der Bremer Haushalt steht, wie in Nachwahljahren im Zwei-Städte-Staat üblich, noch immer nicht fest. Bestehende Einrichtungen erhalten bis zum neuen Haushalt – eventuell im Juni – das gleiche Budget wie im Vorjahr. Doch wegen Tarifsteigerungen können damit weniger Mitarbeiterstunden bezahlt werden. „Insgesamt ist uns zum Jahreswechsel so mindestens eine Dreiviertelstelle weggebrochen“, sagt Flömer.

Mehr Geld für Gewaltschutz – aber nicht genug

Ab dem 15. März läuft der Aufnahmestopp bei „Neue Wege“ aus; die Warteliste wird dann wegen der liegen gebliebenen Fälle direkt wieder voll sein. Mindestens zwei zusätzliche Stellen, rechnet Flömer vor, brauche das Projekt. Die Hoffnung liegt auf den Haushaltsverhandlungen, auch bei anderen Beratungsstellen.

Die Bremer Innenbehörde beantwortet im Laufe des Mittwochs nicht, wie „Neue Wege“, das als Interventionsstelle ja Aufgaben des Ressorts übernimmt, in Zukunft arbeiten und finanziert werden soll. Die Behörde von Gesundheits- und Frauensenatorin Claudia Bernhard (Linke) verweist auf die schwierige Haushaltssituation und die laufenden Verhandlungen.

Immerhin: Die Landesmittel insgesamt für die Umsetzung der Istanbul-Konvention gegen Gewalt an Frauen sind im Doppelhaushalt erhöht worden. Die neue Gewaltschutzambulanz wird damit finanziert und mehr Plätze in Frauenhäusern. Und in den Beratungseinrichtungen? Zumindest die Tariferhöhungen sollen, Stand jetzt, abgefedert werden. Mehr Spielraum für eine bessere Ausstattung verspricht das Ressort aber erst einmal nicht.

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