Liebe für ausgesetzte Möbel: Wenn zwei sich finden

Einsame Stühle, verirrte Kuscheltiere – in das Herz unserer Autorin passen so ziemlich alle Dinge. Nur leider nicht in ihr Zuhause. Ein Dilemma.

Ein blauer Sessel steht auf einer Straße vor einer Wand

Stolz oder stoisch? Ein ausgesetzter Sessel Foto: Jonathan Macagba/Moment/getty

Meinen Couchtisch habe ich vor elf Jahren auf Ebay Kleinanzeigen geschossen. Für nur einen Euro. Er ist aus Kiefer, 1,32 Meter lang und 54 Zentimeter hoch. Seither sind wir zweimal umgezogen, sogar die Stadt haben wir gemeinsam gewechselt. Im Laufe der Jahre wurde mir der einst geliebte Tisch allerdings zu klobig, zu raumeinnehmend, erinnerte mich zu sehr an spießige deutsche Wohnzimmer und Brotzeit um 17.30 Uhr. Ein kleiner Biedermeier.

Mein Mann hingegen blieb beständig in seiner Zuneigung. Betonte immer wieder, wie praktisch dieser Teil meiner Aussteuer doch sei, die große Ablagefläche, der üppige Stauraum der zweiten Ebene. Jeder meiner Neuanschaffungsvorschläge stieß auf Abwehr. Das gute Stück habe zu bleiben!

Schlussendlich habe ich gewonnen. Vor zwei Monaten wurde uns ein neuer Couchtisch geliefert. Bestellt für 99 Euro, wie Erwachsene. Luftiger ist er, schmaler, mehr 2024 als 1992. Den alten inserierten wir für wenig Geld (mehr als einen Euro, weil: Inflation!) auf Kleinanzeigen. Niemand wollte ihn. Nicht mal auf eine Merkliste wurde er gesetzt. Er tat mir leid. Und: Ich vermisste ihn.

Das ist nicht das erste Mal, dass ein lebloser Gegenstand mich rührt. Kuscheltiere lösen eine Woge des Mitgefühls in mir aus. Besonders, wenn sie im Laden am falschen Platz liegen. Ein Plüschhund im Legoregal, das geht nicht. Ich bringe ihn zu seiner Familie. Immer.

Der Hydrant bettelt um Zuneigung

Und es bleibt nicht bei den Kuscheltieren. Hydranten sind auch so ein Fall, mit ihren zwei ausgestreckten Ärmchen scheinen sie um Zuneigung zu betteln. Schwerlich reiße ich mich zusammen. Hydranten umarmen ist eher nichts, was in unserer Gesellschaft besonders angesehen ist.

Ist es ein spezielles Merkmal Hamburgs oder ist es allgemein üblich, Stühle auf der Straße auszusetzen?

Weiter geht’s mit Stühlen. Ja, Stühle! Ist das ein Merkmal Hamburgs oder ist es allgemein üblich, Stühle auszusetzen? Beinahe täglich begegnen mir ausrangierte Hocker, Sessel, Sitzgelegenheiten. Und neuerdings – mein Fokus muss sich erweitert haben – begegne ich auch Tischen jeglicher Form. Vor Kurzem habe ich einen getroffen, der wohnt jetzt auch bei uns. Shabby Chic ist der! Ein Schminktisch, mit zwei kleinen Schubladen, gedrechselten Beinen, lackiert mit weißer Kreidefarbe. Wer setzt denn so was aus?

Morgens haben wir uns getroffen und ich versprach ihm: „Wenn du nach der Arbeit noch da bist, nehm ich dich mit.“ Auf der Arbeit redete ich so lange von ihm, bis meine Kollegin meinte, ich solle sofort gucken gehen. Er hatte auf mich gewartet. Wenn zwei sich finden, finden sie sich.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Seit geraumer Zeit hat ein schwarzer Kunstledersessel meine besondere Aufmerksamkeit erregt. Das erste Mal begegnet sind wir uns im Dezember. Ausgesetzt, aber stolz, intakt und glänzend stand er auf der Hein-Hoyer-Straße. Seither sehen wir uns fast täglich. Und jedes Mal verliert er ein Stück seines Glanzes. Stoisch erträgt er den Raub seiner Sitzfläche, erträgt, von Müll bedeckt, vom Regen durchnässt und der Welt verlassen, auf immer demselben Platz zu stehen, in der Hoffnung ein großes Herz passiere ihn und gäbe ihm, was er sich so sehr wünscht: ein neues Zuhause. Ich ziehe meinen Hut vor ihm.

Leider kann ich ihm nicht helfen, wo soll ich denn hin mit all den Parias der Hamburger Wohnzimmer? Das ist etwas gelogen, denn einen weißen Stuhl mit Korbgeflecht, den konnte ich letztens noch mitnehmen. Na ja. Wenn zwei sich finden, finden sie sich.

Von der Liebe zu den Dingen

Doch warum ist das so mit mir und den unbelebten Dingen? Ist es Objektophilie? Das Wort bedeutet, sich von Gegenständen sexuell angezogen zu fühlen. Doch damit kann ich nicht dienen. Begehren verspüre ich nicht das Geringste, lediglich das Begehr, es möge ihnen gut gehen, den ausgesetzten Möbelstücken, den nach Liebe bettelnden Hydranten und den verirrten Kuscheltieren. Wie man ungerührt an ihnen vorbeiziehen kann, kein Mitgefühl, keinerlei Fürsorge verspürend, das finde ich fragwürdiger als meine Zuneigung zu diesen vermeintlich seelenlosen Gegenständen. Wenn das nun platonische Objektophilie ist, dann sei es so.

Meine beste Freundin hat mir mal gestanden, als Kind wegen eines ausrangierten, defekten Staubsaugerrohrs geweint zu haben. Ihre Eltern wollten es auf den Sperrmüll bringen, was ihr das Herz brach. Also nahm sie sich des Staubsaugerrohres an und versteckte es vor denen, die ihm an den Kragen wollten. An diese entzückende Geschichte denke ich sehr häufig. Kein Wunder, dass wir seit bald dreißig Jahren beste Freundinnen sind. Wenn zwei sich finden, finden sie sich eben.

Am zweiten Abend ohne den alten Couchtisch weinte auch ich und meinte zu meinem Mann: „Schluss mit dem Unsinn, wenn ihn niemand haben will, dann wollen wir ihn wieder!“ Jetzt steht der neue Couchtisch im Zimmer meines Mannes, sein ehemaliger Couchtisch in meinem Arbeitszimmer und das gute, alte Stück steht wieder da, wo es hingehört, in unseren Herzen und in unserem Wohnzimmer.

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