orte des wissens
: Über den Tellerrand des deutschen Rechts hinaus

Das Hamburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht vergleicht Länder-Rechtsordnungen

Die Losung gleich neben der gläsernen Eingangstür am Hamburger Mittelweg 187 lautet: „Dem Anwenden muss das Erkennen vorausgehen.“ Dort residiert das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht (MPI), eines von insgesamt neun rechtswissenschaftlichen Instituten der Max-Planck-Gesellschaft. Nicola Wesselburg, am MPI zuständig für die Forschungskoordination und Wissenschaftskommunikation, erläutert: „Wir betreiben Grundlagenforschung, denn die Globalisierung erfordert einen kompetenten Umgang mit den vielen verschiedenen Rechtssystemen und -ordnungen weltweit. Daher ist nicht allein das ja an sich schon komplexe deutsche Privatrecht Gegenstand unserer Forschung, sondern die Privatrechtsordnungen der ganzen Welt.“

Die Wis­sen­schaft­le­r:in­nen des MPI analysieren andere nationale Rechtsordnungen für einen Teilbereich des Rechts: die Beziehungen der Bür­ge­r:in­nen zueinander, wie sie in Deutschland das Bürgerliche Gesetzbuch regelt, also Vertrags- und Eigentumsrecht, Familienrecht und Erbrecht. Das Privatrecht regelt alle Lebensabschnitte von der Geburt (zum Beispiel die Ehelichkeit von Kindern) bis zum Tod (Erbansprüche). Die vergleichende Perspektive gehe auf den Gründungsdirektor Ernst Rabel zurück, sagt Wesselburg: „Der Blick über den Tellerrand des deutschen Rechts und das Verständnis dafür, wie andere Länder und Regionen ihr Recht verstehen und entwickeln, zieht sich durch unsere fast 100-jährige Geschichte.“

Für schwer zugängliche Rechtsordnungen bedarf es besonderer sprachlicher und kultureller Kenntnisse, deshalb hat das MPI zum Beispiel für Japan, China oder das Recht islamischer Länder regionale Kompetenzzentren. Es bildet damit einen Kristallisationspunkt der weltweiten Forschung für Rechtsfälle, bei denen Ländergrenzen überschritten werden – wie im globalen Handel – und nicht geklärt ist, welches nationale Privatrecht anzuwenden ist.

Das Herzstück des Instituts ist dabei die Bibliothek. Mit rund 550.000 Medieneinheiten zum Privatrecht aus allen Staaten der Erde ist sie einmalig auf dem europäischen Kontinent.

Das MPI erstellt zudem regelmäßig Gutachten zu länderübergreifenden Rechtsfällen, beispielsweise zur Frühehe. 2017 trat in Deutschland das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen in Kraft, das es Minderjährigen im Inland versagt, eine Ehe zu schließen, und im Ausland geschlossene Ehen von Minderjährigen für unwirksam erklärt. Als das Gesetz verfassungsrechtlich auf den Prüfstand kam, erarbeitete ein Team von 30 Forschenden unter Leiterin Nadjma Yassari und Institutsdirektor Ralf Michaels für das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eine Stellungnahme und untersuchte rund 60 Rechtsordnungen weltweit. In Teilen folgte das BVerfG 2023 den Instituts-Empfehlungen – und urteilte, das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen sei unvereinbar mit dem Grundgesetz.

Auch die Weiterentwicklung des Rechts ist ein Forschungsziel des MPI. So erstellte eine Arbeitsgruppe unter Leitung des ehemaligen Direktors Reinhard Zimmermann ein Modellgesetz zu einem Bereich des Erbrechts, dem Pflichtteilsrecht. Sie hält das aktuelle Recht nicht mehr für zeitgemäß und hat mit dem Modellgesetz einen konkreten Vorschlag für dessen Überarbeitung gemacht. Wie sehr ist die Forschung des MPI damit an der Politik orientiert? Wesselburg wird da grundsätzlich: „Max-Planck-Direktor:innen gestalten ihr Arbeitsprogramm nach ihren persönlichen Forschungsinteressen. Wir forschen nicht entlang der Politik! Vielmehr forschen wir zu Themen, die oft erst Jahre später auf einer politischen Agenda landen.“ Frauke Hamann