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berliner szenenBetrüger zeigen Einsicht

Es ist Sonntagnachmittag und die Ringbahn ist gespenstisch leer. Am Gang sitzt eine Frau mit rotem Schal, die mich anlacht, als sie sieht, dass ich ein Foto mache. „Wie im falschen Film, ne?“, fragt sie. Ich nicke und lächle. „Habe ich häufiger. Ich bin auf Betrüger hereingefallen“, sagt sie. Ich sehe sie mit großen Augen an. „Eine Nachricht von meinem Sohn, dass er die Nummer gewechselt hat. Na ja, dachte ich, speicher ich ein. Irgendwann fragt er, ob ich ihm 1.500 Euro schicken kann, er kommt nicht an sein Konto.“

„Oh nein“, entfährt es mir.

„Tja“, nickt die Frau. „Hab es sogar zweimal überwiesen, weil die erste Zahlung nicht ankam. Hab ich da geheult, als eine Freundin meinte: ‚Mensch, das sind doch Trickbetrüger‘, weil ich hab’s ja nun auch nicht dicke. Dafür Glück. Mein Ex hat mir die Hälfte überwiesen und meinte: „Geteiltes Leid ist halbes Leid.“ Das war korrekt. Konnte nur nicht schlafen, weil ich so dumm war und wie gemein das ist. Da hab ich an die Betrügernummer geschrieben: Liebe nicht verehrte Betrüger, ich bin eine Mutter, die ihren einzigen Sohn liebt und alles für ihn tun und geben würde. Gutgläubig, wie ich bin, finde ich es besonders schäbig, was Sie machen, denn Sie nehmen Leuten, die nicht viel haben, aber aus Liebe geben, die letzten Ersparnisse ab. Schämen Sie sich.“

„Und dann?“, frage ich.

„Die Bank hat 1.500 Euro zurückgeholt, und dann waren da noch mal 1.500, und im Verwendungszweck stand: Die Betrüger.“

Mir wird warm. „Das gibt es ja nicht“, sage ich. Sie lacht. Dann steht sie auf: „Da sehen Sie mal, was man für Glück haben kann, obwohl man so doof war wie ich.“ Sie winkt. „Ich erzähl die Geschichte immer, damit keiner mehr drauf reinfällt.“ Dann steigt sie aus. Ich denke, dass ich die Geschichte aus vielerlei Gründen weitererzählen will. Isobel Markus

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