Immigration in Frankreich: Verfassungshüter setzen Rotstift an
Das Oberste Gericht Frankreichs erklärt Teile des Einwanderungsgesetzes für verfassungswidrig. Das kommt einer Rüge für Regierung und Staatschef gleich.
Sie hatten zugelassen, dass ihre ursprüngliche Vorlage von der Rechten mit zahlreichen Anträgen so sehr verschärft wurde, dass am Ende die extreme Rechte jubelte und von einem „ideologischen Sieg“ für ihre fremdenfeindlichen Ideen sprach.
Den Regierungsparteien war dies eher peinlich. Fast 50 ihrer Abgeordneten hatten bei der Abstimmung am 19. Dezember 2023 dagegen votiert oder sich der Stimme enthalten. Ihre Hoffnung lag auf den Verfassungsrichtern.
Nicht ganz unerwartet haben die Hüter der Verfassung mit dem Rotstift vieles gestrichen oder korrigiert, weil die ihnen unterbreiteten Gesetzesartikel nicht nur Traditionen der französischen Republik, sondern auch deren Grundwerte in Frage stellen. Fast die Hälfte, insgesamt 37 von 86 Artikeln, wurden beanstandet.
Tradition bleibt
Am juristischen Veto scheitern die Artikel, die vom mehrheitlich konservativen Senat zur Verschärfung der Regierungsvorlage hinzugefügt worden waren. Nicht konform ist beispielsweise die vorgesehene Änderung der Erlangung der Staatsbürgerschaft für in Frankreich geborene Kinder ausländischer Eltern. Diese bekamen dank des seit Jahrhunderten geltenden „Jus soli“ mit Erreichen der Volljährigkeit (heute 18) automatisch die Staatsangehörigkeit. Nun musste dies neu beantragt werden. Nun bleibt es bei der Tradition.
Es sind die am meisten kritisierten und umstrittenen Artikel, die im Entscheid des Conseil constitutionnel bemängelt werden: Der eingeschränkte Zugang zu bestimmten Sozialhilfen, die Beschränkung des Rechts auf Familienzusammenführung für legal niedergelassene Immigranten oder auch eine Kaution für (außereuropäische) ausländische Studierende bei der Immatrikulation. Die Richter machen nicht nur grundsätzlich verfassungsrechtliche Argumente geltend, sondern auch formale Einwände.
Denn zahlreiche Ergänzungen, die in der Parlamentsdebatte der Gesetzesvorlage beigefügt wurden, haben ihrer Ansicht nach keinen direkten Zusammenhang. So sollte der illegale Aufenthalt von Papierlosen zu einem strafrechtlichen Delikt erklärt werden, was es bereits in Frankreich gab.
Derartige Maßnahmen sind nach dem Urteil nicht verfassungswidrig, müssten aber in einem anderen Kontext geregelt werden. Das bedeutet, dass sie später in einer separaten Vorlage dem Gesetzgeber wieder unterbreitet werden können. Der Rest der Immigrationsgesetze, an dem die Verfassungshüter nichts auszusetzen hatten, kann Präsident Macron nun in Kraft setzen.
Höchst unzufrieden
Höchst unzufrieden mit dem Urteil müssen die Senatoren und Abgeordneten der konservativen Partei Les Républicains (LR) sein. Sie konnten es als ihren politischen Erfolg ansehen, dass die Regierung mangels Mehrheit in der Nationalversammlung ihre weitgehend verschärfte Version akzeptieren musste.
Da dies nun aber am Verfassungsgericht scheitert, fordert LR wie auch das rechtspopulistische Rassemblement national (RN) von Marine Le Pen eine Volksabstimmung zur Revision der Verfassung.
Die politische Rechte verweist dabei auf Umfragen, denen zufolge eine Mehrheit der Bürger und Bürgerinnen eine strengere Kontrolle der Immigration wünschen. Der besonders symbolisch wichtige Artikel 1, der besagte, dass das Parlament jährliche „Quoten“ für die Einwanderung festlegen werde, wurde nun aber gestrichen.
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