Andreas Speit
Der rechte Rand
: Wie „Remigration“ populär geworden ist

Ein Begriff ist nun in aller Munde: Die „Remigrations“-Vision der AfD ist populär geworden. Deportationsvorstellungen haben Po­li­ti­ke­r:in­nen und Pu­bli­zis­t:in­nen zwar schon seit Jahren ausgebreitet, nun sind sie aber breiter bekannt geworden. Die Rede von Martin Sellner beim Treffen in Potsdam hallt nach. Ein diskursiver Sieg? In der AfD lavieren die führenden Personen zwischen Relativierungsbemühungen und Angriffsversuchen. Keine Überraschung, erstmals seit Jahren muss sich die Partei für ihre Positionen gesamtgesellschaftlich öffentlich rechtfertigen.

Gegen diesen Rechtfertigungsdruck aus der Mitte der Gesellschaft versucht sich das gesamte „patriotische“ Milieu zu stemmen, mitunter auch mit Verschwörungsnarrativen. Der Vorsitzende der niedersächsischen AfD-Landtagsfraktion, Stefan Marzischewski, spricht von einer „fehlerhaften Berichterstattung über ein privates Treffen“ und redet von einer „exzessiven Diffamierungskampagne“. Dirk Nockemann, AfD-Fraktionschef in der Hamburger Bürgerschaft, geht von einer „politmedialen Hetze“ der SPD aus, es handele sich gar um eine „historische Desinformation“. In einer Bürgerstunde der Hamburger AfD-Fraktion war jüngst der Jurist und CDUler Ulrich Vosgerau zu Gast, der auch am Potsdamer Treffen teilnahm. Auch er versuchte das Thema abzuschwächen. Vosgerau schrieb schon in der neu-rechten Jungen Freiheit, dass Sellner nur ein „umstrittener Schriftsteller“ sei, der bloß sein Buch vorgestellt habe.

Diesen diskursiven Konflikt strebt die selbsternannte „Neue Rechte“ schon seit Jahrzehnten an. Im vorpolitischen Raum sollen Themen und Termini gesetzt werden, um im politischen Raum Einfluss und Macht zu gewinnen. Einen der ersten Versuche startete 1964 Lothar Penz in Hamburg. Mit dem Arbeitskreis „Junges Forum“, der auch eine Publikation mit dem selben Namen verantwortete, sollte „die theoretische Basis eines neuen Denkgebäudes“ geschaffen werden.

Der „intellektuelle Führungskreis“ des Forums wusste, dass es geboten war, mit einer modifizierten Argumentation und moderater Rhetorik aufzutreten, um politische Positionen thematisieren und etablieren zu können. Aus diesem Kreis kommt auch der Historiker und Publizist Hennig Eichberg, der den Begriff des „Ethnopluralismus“ prägte und damit eine bis heute gültige Argumentationsbasis entwarf, ohne die letztlich die „Remigration“-Vision nicht zu denken ist.

Warum Rechte nicht von Rückführungen oder Deportationen sprechen, zeigt dieses Konzept auf: Der Ethnopluralismus geht von Ethnien aus, die historisch zu einer homogenen Gemeinschaft gewachsen sind, mit einer eigenständigen Identität und Kultur, die es zu bewahren gelte. Die Argumentation klingt freundlich, doch schon die Prämisse, dass sich Ethnien eigenständig und ohne Einfluss von anderen Ethnien entwickelten, ist falsch. Die zugrundeliegende Botschaft, dass Ethnien vor fremden Einflüssen geschützt werden müssten, ist letztlich radikal. Sie bedeutet nichts anders als: Ausländer raus, Deportation, Remigration. In seinem Text „Strategie der Sammlung“ hebt Sellner selbst hervor, dass ein „homogenes ‚deutsches‘ Deutschland“ nicht aufgegeben werden sollte.

Martin Sellner versucht nun, die laufende Debatte als Erfolg zu feiern

Ist es diesem Milieu 2024 gelungen, nach über 60 Jahren mit der Vision der „Remigration“, die ohne Ethnopluralismus nicht greift, die gesellschaftliche Mitte zu beeinflussen? In der Zeitschrift Sezession versucht Sellner nun, die laufende Debatte als Erfolg zu feiern. Und das, obwohl die AfD leicht bei Umfragen verliert. Er schreibt: „Das strategische Ziel der Normalisierung durch anschlussfähige Provokation besagt auch, dass man unter Umständen für eine langfristige metapolitische ‚Gebietseroberung’ temporär Verluste an Stimmen und Popularität hinnehmen muss.“ „Verschreckte Wechselwähler“ kämen später zurück.