Vier Frauen stehen auf einer Rampe und schauen durch eine halb geöffnete Tür, das Haus wirkt verfallen

Fikreta zeigt ihrer Mutter und zwei weiteren Frauen das Haus, wo sie mit 15 Jahren vergewaltigt wurde. „Ich habe heute noch Träume. Wenn ich nachts schlafe, scheint es, als würde ich vom Himmel fallen – von oben. Und sie jagen mich, sie rennen hinter mir her, ich renne, ich renne, ich kann nicht entkommen. Und ich fange im Schlaf an zu schreien“, sagt sie Foto: Cornelia Suhan

Sexuelle Gewalt im Bosnienkrieg:Die leeren Augen

Im Bosnienkrieg wurden 1992 20.000 Frauen vergewaltigt, 50.000 Menschen wurden ermordet. Unser Autor war damals in Tuzla im Osten Bosniens. Eine Erinnerung.

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Aus sarajevo, 7.2.2024, 09:57  Uhr

Es waren zuerst die Gesichter. Die leeren Augen, die ins Nichts gerichteten Blicke, die im Sommer 1992 hinter dem Fenster des Busses zu sehen waren. Eine Mitarbeiterin des Roten Kreuzes bedeutete mir, dass dies Frauen aus dem von Serben eroberten Gebiet in Ostbosnien seien. Das Rote Kreuz habe sie da rausgeholt und ins noch sichere und freie Gebiet hierher in die Stadt Tuzla gebracht. Sie war sichtlich betroffen.

Langsam begann ich zu verstehen. Diese Flüchtlinge waren Opfer von Vergewaltigungen. Dass die serbischen Truppen während ihres Vormarsches in Bosnien nicht nur eine breite Blutspur gezogen, sondern im Zuge der „ethnischen Säuberungen“ auch Tausende Frauen vergewaltigt hatten, war schon gerüchteweise bekannt. Doch wer kann sich das schon vorstellen? Als das ganze Ausmaß der Massenvergewaltigungen bekannt wurde, regte sich vor allem in Mitteleuropa und in Deutschland eine breite Frauensolidarität.

Der Beginn Die Fotografin Cornelia Suhan reiste 1993 zum ersten Mal nach Bosnien, um ein Therapiezentrum für vergewaltigte Frauen und den Verein „Vive Žene“ – „Frauen, lebt!“ – ins Leben zu rufen. Ab 2000 hat der Dortmunder Verein neue ambulante psychosoziale Programme in ganz Bosnien aufgebaut.

Der Prozess Kontinuierlich war sie mit den Schilderungen sexualisierter Gewalt konfrontiert. Im Herbst 2018 begann sie die Tatorte zu fotografieren, die ihr wie „stumme Zeugen“ schienen: Krankenhäuser, Hotels, Sporthallen, Verwaltungsgebäude, Schulen, Privathäuser waren Leidensorte, die sie dokumentierte. Suhan fand so eine Form von den Schicksalen der Betroffenen zu erzählen, ohne sie erneut der Öffentlichkeit auszuliefern.

Das Resultat Das Buch „Silent Witness“ von Cornelia Suhan erscheint im März in deutscher Sprache beim Verlag Gost Books. Neben Vive Žene hat die bosnische Organisation Snaga Žene die Fotografin bei der Recherche unterstützt. Die Informationen zu den Bildern stammen aus dem Buch. (taz)

Hunderte von Frauen fuhren in die Region. Eine der ersten war Monika Hauser, eine Medizinstudentin aus Südtirol, die kurz vor ihren Examina stand. Sie wollte die medizinische Behandlung mit der psychologischen verknüpfen, eine für die damalige Zeit sehr fortschrittliche Position. Getragen von Spenden der westlichen Frauenbewegung standen ihr auch ausreichend Mittel zur Verfügung, um die modernsten medizinischen Geräte ins Kriegsgebiet nach Zenica zu bringen.

1993 stellte Hauser eine Crew aus einheimischen Ärztinnen und Psychologinnen zusammen, die betroffene Frauen betreuten. Über deren Berichte und weitere Informationen entschlüsselte sich das ganze Bild: Dass die serbische Soldateska ernst machte mit den Theorien ihrer Nationalisten und die eroberten Gebiete von Nichtserben „säubern“ wollten, hatten zu Beginn des Krieges die wenigsten erwartet.

Viele Frauen in KZs

Das Vorgehen war überall ähnlich. Die Soldaten kamen in ein Dorf, trieben die Männer zusammen, erschossen einige, sperrten die Frauen in die Schule oder in Scheunen. Für sie gab es kein Entkommen, viele wurden vor den Augen ihrer Kinder oder ihrer Männer vergewaltigt. Die Bewohner der Nachbardörfer versuchten in Richtung Kroatien oder die noch freien Gebiete zu fliehen, Zehntausende schafften das nicht.

In den Städten und Gemeinden Westbosniens wurde vor allem Jagd auf die Elite gemacht, Professorinnen und Richterinnen, Studentinnen und Chefinnen von Restaurants gehörten zu den bevorzugten Opfern, viele Frauen fanden sich in den Konzentrationslagern wieder. Oder wurden gleich ermordet. Wie auch Tausende von Männern in den KZs Omarska, Manjaca, Keraterm.

Einzelschicksale, wie das einer Richterin, an der sich von ihr verurteilte Kriminelle rächten, hat mich tief berührt. Von April 1992 bis in den Herbst hinein wurden über 50.000 Menschen ermordet, mindestens 20.000 Frauen vergewaltigt und über 2 Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben. Fast die Hälfte der damaligen Gesamtbevölkerung Bosnien und Herzegowinas. Die Verbrechen hatten zum Ziel, ethnisch reine Bevölkerungen zu schaffen. Die Vergewaltigungen vor allem der muslimisch-bosniakischen Frauen wurden als Kriegswaffe eingesetzt, die Geschändeten und Vertriebenen sollten nicht mehr zurückkehren wollen.

Nach wissenschaftlichen Untersuchungen des Research and Documentation Center in Sarajevo waren mehr als 90 Prozent der vergewaltigten Frauen im Bosnienkrieg muslimisch, die Mehrzahl der Täter waren orthodoxe Christen, also bosnische Serben. Bald wurde für die Journalisten vor Ort klar, dass die Vergewaltigungen einem geostrategischem Kalkül entsprangen. Sie waren Teil des politischen Plans der damaligen politischen Führung Serbiens, die Mehrheitsbevölkerung in Bosnien zu vertreiben und das Land für sich zu beanspruchen.

Monika Kleck kam 1994 in die ostbosnische Stadt Tuzla, die sich gegen die serbisch-nationalistische Offensive militärisch behaupten konnte. Auch die damals 24-jährige Psychologiestudentin wollte den Opfern helfen und schloss sich Amica an, einer in Freiburg geschaffenen NGO. „Hier gab es eine Psychologin, eine Bosnierin, die mich toll eingeführt und mir die Traditionen vor allem der ländlichen Bevölkerung erklären konnte.“

Gerade in patriarchalen Gesellschaften sei die Frau für die Ehre des Mannes zuständig, erklärt Kleck. Die Vergewaltigungen seien auch gegen die Männer gerichtet gewesen, die ihre Frauen nicht verteidigen konnten. Während Hauser in Zenica einen offensiven Zugang für die Behandlung der Frauen suchte, versuchte Amica in Tuzla, jegliches Stigma zu vermeiden. Die betroffenen Frauen sollten nicht als vergewaltigt erkannt werden.

Und dennoch, so richtig zufrieden ist Monika Kleck nicht. Denn auch 30 Jahre später leiden viele Frauen weiter an Depressionen, 58 Prozent der Frauen haben gynäkologisch Probleme, haben nach wie vor Schmerzen. Doch noch schwerer wiegt, dass das Erlebte immer noch lebendig ist. Auch die sozioökonomische Lage der Menschen ist katastrophal, sie sind es ja, die damals Haus und Hof verloren, deren Familien zerstört wurden, die in bitterer Armut leben. Und der gespaltene Staat tut sich schwer, die Verbrechen anzuerkennen, Renten und Entschädigungen müssten durchgesetzt werden.

In Visegrad an der Drina gibt es ein Hotel, Vilina Vlas, dass 1992 zu einem berüchtigten Vergewaltigungslager geworden war. Bakira Hasecic war damals Insassin, sie hat nach ihrem Überleben die Organisation Zene Zrtve rata gegründet. Sie ermutigt Frauen die Scham abzulegen und offensiv mit den Verbrechen umzugehen. Mit Gleichgesinnten gehen sie in die Orte des Verbrechens und versuchten Täter zu finden. Erst in diesem Sommer erkannten sie zwei Polizisten. Die wurden natürlich von den serbischen Behörden der Region nicht verhaftet. Aber sie sind jetzt bekannt.

Im Juni 2008 beschloss die UN, Vergewaltigungen als Kriegsverbrechen zu definieren. Vor allem die Systematik der Verbrechen in Bosnien veranlasste das Weltgremium. Seither sind alle Menschen angehalten, in Kriegsgebieten Beweise für diese Art von Kriegsverbrechen zu sichern. Das ist immerhin etwas, was die bosnischen Opfer erreicht haben.

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