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Warnstreik im ÖPNVFridays for Verkehrswende

Beschäftigte der Verkehrsbetriebe kämpfen zusammen mit Fridays for Future für gute Arbeitsbedingungen und Verkehrswende. Am Freitag wird gestreikt.

Wer auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen ist muss stark sein: Nach dem Bahnstreik ist vor dem Streik der BVG Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Berlin taz | Dass der Arbeitskampf bei den Berliner Verkehrsbetrieben weit mehr ist als nur eine weitere ritualisierte Tarifrunde, wurde bei der Pressekonferenz am Montagnachmittag im Verdi-Gewerkschaftshaus mehr als deutlich. „Wir brauchen nicht nur bessere Arbeitsbedingungen, sondern bessere Rahmenbedingungen“, sagt Christine Behle, stellvertretende Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft, „Es geht auch um die Frage: Wollen wir eine Verkehrswende in diesem Land?“.

Die Beschäftigten von insgesamt 132 kommunalen Verkehrsbetriebe verhandeln deutschlandweit neue Tarifverträge, darunter auch die BVG und die 14 Brandenburger Verkehrsunternehmen. Unterstützt werden sie von den Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen von Fridays for Future, die mit der Kampagne „Wir fahren Zusammen“ ein Investitionspaket für die Verkehrswende fordern.

Da die Verhandlungen bislang keine Ergebnisse gebracht haben, kündigt Verdi einen Warnstreik für Freitag an. Bei der BVG soll von Betriebsbeginn bis 10 Uhr gestreikt werden, in Brandenburg den ganzen Tag.

Die Ankündigung zum Warnstreik am Freitag folgte der ersten Verhandlungsrunde letzten Mittwoch zwischen BVG und Verdi. Aus Sicht der Gewerkschaft war das Ergebnis ernüchternd. Laut Verhandlungsführer Jeremy Arndt habe es von der Arbeitgeberseite kaum konkrete Aussagen zu den Forderungen gegeben – „obwohl sie die Forderungen schon seit Dezember kennt, hat die BVG kein ernsthaftes Angebot gemacht. Deswegen müssen wir zum Arbeitskampf aufrufen.“

Bundesweiter Warnstreik am Freitag

In Brandenburg sei die Situation noch schlimmer, so Arndt. Dort bestehen die Arbeitgeber auch nach der zweiten Verhandlungsrunde immer noch auf einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen wie eine Einstellung der Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall und Ausweitung der Arbeitszeit auf 10 Stunden pro Tag. „Man muss sich die Frage stellen, ob die Arbeitgeberseite überhaupt ernsthaft verhandeln will“, sagt Arndt.

Wegen der besseren Ausgangslage werde daher in Berlin nur bis 10 Uhr morgens gestreikt, der normale Verkehrsbetrieb werde kurz danach wieder anlaufen.

Verdi fordert eine Reihe von Maßnahmen, um die Arbeitsbedingungen der Fah­re­r:in­nen zu verbessern. Darunter sind eine Erhöhung der Ruhezeiten zwischen den Schichten von 11 auf 12 Stunden, 33 Tage Urlaub im Jahr für alle Mitarbeitenden sowie längere Pausen- und Wendezeiten. Gerade die Wendezeit von derzeit 4 Minuten sei derzeit ein großer Stressfaktor. Die Zeit reiche oft nicht einmal für einen Toilettengang, Verspätungen könnten kaum abgepuffert werden und übertragen sich oft auf die nächste Fahrt. Verdi fordert daher eine Erhöhung auf 10 Minuten.

Da ein Großteil der Maßnahmen eine Reduktion der Nettoarbeitszeit zur Folge hat und somit den Personalbedarf noch weiter erhöht, tut sich die BVG entsprechend schwer damit, den Forderungen stattzugeben. Schon jetzt fehlen 350 Busfahrer:innen, weswegen das Unternehmen erst im Dezember den Takt auf vielen Buslinien ausdünnen musste. Das Problem wird sich noch deutlich verschärfen: Die BVG spricht von 10.000 zu besetzenden Stellen in den nächsten fünf Jahren.

Unterstützung durch die Fridays

„Es hat sich seit vielen Jahren angekündigt, dass die Beschäftigten ausscheiden werden“, kritisiert Behle von Verdi. Die Verkehrsbetriebe hätten verschlafen, rechtzeitig gegenzusteuern.

Der Warnstreik am Freitag wird auch die Bewährungsprobe für das Wir-Fahren-Zusammen-Bündnis von Fridays for Future und Verdi. Die Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen kündigten an, die BVG-Beschäftigten ab dem frühen Morgen auf den über die Stadt verteilten Streikposten mit Gesellschaft, Essen und Social-Media-Arbeit zu unterstützen. „Wir versuchen die negative Stimmung gegen Streiks ein wenig aufzulösen“, erklärt Daryah Sotoodeh von Fridays for Future.

Die Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen wollen diese mit der Kampagne aktiv unterstützen – auch weil das Kernstück der Verkehrswende, die auch Fridays for Future fordert, eine Abkehr vom motorisierten Individualverkehr hin zum öffentlichen Nahverkehr ist.

In einer Petition fordert das Bündnis eine Verdoppelung der ÖPNV-Infrastruktur bis 2030. Möglich machen soll das ein riesiges Investitionsprogramm von mindestens 16 Milliarden Euro pro Jahr. Bis jetzt konnten die Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen dafür über 67.000 Unterschriften sammeln, die sie beim Klimastreik am 1. März der Politik übergeben wollen. Gleichzeitig dient die Unterschriftensammlung auch dafür, gesellschaftliche Akzeptanz für den Arbeitskampf der BVG zu schaffen.

Ohne Personal keine Verkehrswende

Doch selbst mit dem politischen Willen droht der Arbeitskräftemangel zum Flaschenhals der Verkehrswende zu werden. Ohne deutlich attraktivere Arbeitsbedingungen wird es wohl kaum machbar sein, die aktuelle Personalbesetzung zu halten, geschweige denn aufzubauen – im Gegenteil, aufgrund der Überlastung denken viele Beschäftigte darüber nach, den Beruf zu verlassen.

„Viele Kol­le­g:in­nen machen es davon abhängig, wie die Tarifrunde ausgeht, ob sie diesen Beruf noch dauerhaft ausführen wollen“, warnt Fachbereichleiter Arndt.

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3 Kommentare

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  • Immer wieder die Dreifaltigkeit: Mehr Personal, mehr Geld, weniger arbeiten für die Mobilitätswende. Dazu müsste man lokale Steuern und Abgaben erhöhen für alle (Bei Bundessteuern hat Berlin keine Kompetenz). Freiwillige vor. Man könnte auch mal Hausaufgaben machen. Komplette Digitalisierung aller Bereiche, Abschaffen ungerechtfertigter Vergünstigungen, autonomes fahren wie fahrerlose U-Bahn.

  • 1G
    14231 (Profil gelöscht)

    Die Verkehrswende hängt vor allem davon ab, dass Autofahrer die öffentlichen Verkehrsmittel annehmen, Aber so regelmäßig wie die inzwischen bestreikt werden, dürfte das illusorisch sein.

    • @14231 (Profil gelöscht):

      ÖPNV ist ein inferiores Gut.



      Der eigene PKW ein Statussymbol.

      Das Autofahrerinnen von selbst entscheiden auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen, ist nicht zu erwarten.

      Nicht wenige Menschen nutzen das eigene Auto selbst dann noch, wenn mit öffentlichen Verkehrsmitteln das Ziel schneller erreicht werden kann.

      Das mag paradox klingen, ist aber nun mal so.

      Die Proteste spielen da kaum eine Rolle.

      Insb. wenn mal die notwendigen Investitionskosten in Betracht gezogen werden.

      Der Protest ist eigentlich "unnötig". Wenn Arbeitskraft fehlt müssen sich die Arbeitsbedingungen verbessern.

      Wenn Geld fehlt muss der Bund eben mehr zahlen, wir wollen doch eine VERKEHRSWENDE, das kostet.

      Es liegt nicht an den Autofahrerinen die Infrastruktur von Land/Stadt umzugestalten