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Eintrittskarten für die Welt

Für Afri­ka­ne­r:in­nen ist ein westliches Visum wie ein Lottogewinn, während die Privilegierten der Erde über Grenzen spazieren

Aus Lagos Nelly Kalu

Aus Lagos Nelly Kalu

Hallo Mutti, ich habe das Visum, ich gehe nach Amerika!“

„Was, Du hast es bekommen? Gelobt sei der Herr!“

Mein erstes Telefonat nachdem ich mein US-Visum erhalten hatte, führte ich mit meiner Mutter aus der Walter Carrington Street in Lagos, ein paar Gebäude vom US-Konsulat entfernt. Ich vergewisserte mich, dass ich außer Hörweite war, als ob sie mir mein Visum wieder wegnehmen würden, wenn sie mein Gespräch hören sollten.

Ich hatte drei Stunden in der Schlange gestanden und zugesehen, wie vielen Menschen die Chance auf Bildung, Familienzusammenführung oder einen Weg aus dem nigerianischen Chaos und der Armut verwehrt wurde. Einige hatten ihre besten Kleider angezogen, andere hatten ihre Antworten auswendig gelernt, sichtlich nervös, weil ihr Schicksal in den Händen Fremder lag. Einige der Interviewer waren unhöflich und ungeduldig. Es überraschte mich nicht, als ich später, in Amerika, Beschwerden an die US-Botschaft über das unprofessionelle Verhalten ihrer Mitarbeiter in Lagos las.

Für Ni­ge­ria­ne­r:in­nen fühlt sich der Erhalt eines Visums wie ein Lottogewinn an. Während die Privilegierten des globalen Nordens über Grenzen spazieren, müssen wir unzählige Hürden überwinden. Würde ein Deutscher Gott und alle seine Vorfahren preisen, wenn er ein Visum für die USA erhält? Kaum.

Die Visabestimmungen sind oft so streng, dass man meinen könnte, die Länder wetteifern darum, wer der Härteste ist. Die finanziellen Anforderungen sind teils so hoch, dass Menschen ihre Angehörigen nicht wiedersehen können und Familien auseinandergerissen werden. Bereits zugelassene Studierende müssen teils enorme Geldsummen, mitunter die gesamten Studiengebühren, auf ihren Konten nachweisen. Unverheiratete oder Wohneigentumslose werden bei der Visavergabe diskriminiert, weil sie angeblich „keine Bindungen“ zu ihrem Geburtsland haben. In dieser Welt ist Freizügigkeit ein Privileg, kein Recht. Unsichtbare Zäune aus Reisebeschränkungen, getarnt als Sicherheitsmaßnahmen, sperren die Ausgegrenzten in ihren Ecken des Globus ein, während die Mächtigen des Globalen Nordens ungehindert Grenzen überschreiten.

Um ein Visum für den Abschlussworkshop der taz Panter Siftung 2024 in Berlin zu bekommen, mussten zwei Journalistinnen aus Liberia und Sierra Leone nach Ghana reisen. Das kostete sie Zeit und Geld, auch für die Einreise nach Ghana wurden Gebühren fällig.

Jahrzehntelang wurden afrikanische Jour­na­lis­t:in­nen von westlichen Nachrichtenmedien an den Rand gedrängt. Heute fordern sie ihren rechtmäßigen Platz beim Erzählen ihrer eigenen Geschichten in der globalen Medienlandschaft. Dabei haben sie noch immer erhebliche Hürden beim Zugang zu internationalen Konferenzen oder Stipendien zu überwinden. Solche Veranstaltungen, die für ihre westlichen Kol­le­g:in­nen oft leicht zugänglich sind, können für Weiterbildung, Vernetzung und den den Aufbau ihrer Karriere entscheidend sein.

Ein aktuelles Beispiel ist die Global Investigative Journalism Conference im September 2023 in Schweden. Mehreren afrikanischen Journalisten, darunter Nneoma Benson aus Nigeria wurde das Visum verweigert – trotz umfangreicher Vorbereitungen, der Zahlung der Konferenzgebühren, der Buchung von Reisen und des Nachweises früherer Reiseerfahrungen. „Sie sagten: 'Nigeria ist nicht sicher, also könnten Sie nach Schweden reisen, weil Sie nicht zurückkehren wollen.´ 'Sie nutzen das Stipendium als Gelegenheit, Ihr Land zu verlassen.´ 'Sie scheinen keine Bindung an ihr Heimatland zu haben´“, sagt Benson. Dabei war sie gerade von einer Dienstreise nach Deutschland zurückgekehrt.

Die Ablehnung eines Visums verwehrt Jour­na­lis­t:in­nen nicht nur wertvolle Chancen, sondern ist auch mit erheblichen Kosten verbunden. Vor allem für Jour­na­lis­t:in­nen aus Entwicklungsländern ist das ein Problem, während ausländische Botschaften in Afrika viel Geld mit Ablehnungen verdienen.

Stephanie Schumann ist Gründerin der Booking-Agentur Delicious Tunes mit Sitz in München. 95 Prozent der Auftritte von Delicious Tunes sind von afrikanischen Künstler:innen. Schumann ist frustriert über das komplexe, uneinheitliche Visumverfahren für afrikanische Künstler, die durch Europa touren wollen. „Die Angst sie könnten in Europa bleiben, ist übertrieben“, sagt Schumann. Auch wenn Reiseplan, Konzertverträge, Einladungsschreiben, Versicherung und anderes korrekt vorgelegt werden, würden Anträge abgelehnt. „Willkürlich und geschäftsschädigend“ nennt Schumann das – auch für die europäische Seite. Schließlich verlieren auch begleitende europäische Künst­le­r:inn­nen Einnahmen, ebenso wie Veranstalter. Der finanzielle Schaden komme zur verlorenen Zeit und dem Aufwand noch hinzu.

Schumann schlägt vor, Künstler:innen, die Europa regelmäßig besuchen, längerfristige Visa zu erteilen. Das spare Zeit, Geld, Arbeit und Nerven. „Die kolonial geprägte Einstellung, dass wir entscheiden, wohin ein Mensch gehen darf oder nicht, muss sich ändern“, findet Schumann.

Foto: Collage: Nontokozo Tshabalala

Eine Untersuchung der kandischen Regierung ergab, dass afrikanische Stu­den­t:in­nen in Kanada und den USA wesentlich schlechtere Chancen auf ein Visum haben als solche aus anderen Regionen der Welt, und dass Rassismus dabei ein wichtiger Faktor ist.

So erschweren strenge Regeln die legale Migration. Dabei könnte diese die gefährlichen undokumentierten Einreisen verringern. Seit Jahren versucht Europa, die Migration durch diplomatische Initiativen mit afrikanischen Ländern zu steuern. Sie werden unter Druck gesetzt, die Abwanderung zu stoppen, indem sie Migranten mit militärischer Gewalt vom Mittelmeer fernhalten. Außerdem wird von den Staaten erwartet, abgeschobene Migranten aufzunehmen – eigene Bürger, aber teils auch andere. So entledigt sich Europa seiner Verantwortung für die Verursachung der Krisen, die zur irregulären Migration führen.

Die EU tritt für Mobilität ein, verschärft aber die Kontrollen an ihren eigenen Grenzen. Sie erhebt Freizügigkeit zum Element der Demokratie, während afrikanische Staaten, denen sie selbst Autokratie vorwirft, die Bewegung von Menschen stoppen sollen.

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