KOMMENTAR VON ANJA MAIER: Rösler verweigert die Wirklichkeit
Wer aus dem Osten kommt, kennt diese Situation. Die Partei hat nicht recht, und im Grunde ist ihr Vorsitzender schon geliefert. Zu viel ist schiefgelaufen, alle wissen das. Aber dann kommt irgendein elftes Plenum oder ein Parteitag, irgendeine Talking-Heads-Veranstaltung. Die Bürgerinnen und Bürger im Saal und vor den Bildschirmen erwarten Reformen, Ideen, irgendwas, was auf den letzten Metern einen Sturz verhindern könnte. Denn so ein Umschwung bringt auch jede Menge Unwägbarkeiten und Stress. Vielleicht wendet die Parteiführung das Chaos ja doch noch ab?
Aber dann tritt doch nur derselbe Obergenosse wie beim letzten und vorletzten Mal ans Mikrofon, hält einfach die Rede, die er seit gefühlten Jahrzehnten hält: Die anderen sind doof, und ich habe recht. Und deshalb trage ich hier einfach noch einmal meine Gedanken vor, die ja hinlänglich bekannt sind. Aber was soll’s, vielleicht versteht’s ja heute jemand. Fertig! Und jetzt Applaus.
Bei Philipp Röslers Parteitagsrede war das so. Er schoss gegen die politischen Gegner, statt zu sagen, wo es für die FDP künftig langgehen soll. Nur durch Abgrenzung gegen die anderen entsteht kein Profil. Erst recht nicht in einer Situation höchster innerer und äußerer Gefahr. Unbeirrt spulte Rösler seine Textmodule ab.
Im Moment seiner Rede – dieser öffentlich demonstrierten Verweigerung der Wirklichkeit – fragt man sich, ob dem Vizekanzler noch keiner gesagt hat, was da draußen los ist. In der Partei. In der Gesellschaft. Dass die Leute lachen über die FDP, die er führen soll. Dass sich viele wünschen, dass dieser Partei wieder jemand Leben einhauchen würde. Nicht aus Mitleid mit ihm, sondern weil es schlecht für die Demokratie wäre, wenn die FDP mit ihren liberalen Grundwerten verschwände. Unvorstellbar, dass Philipp Rösler so wenig Ahnung hat. Es scheint anders zu sein: Dieser Parteivorsitzende möchte befreit werden. Von seiner Aufgabe, die er weder bewältigen kann noch wird.
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