Handball-EM in Deutschland: Jedes Jahr im Januar

Der deutsche Handball tut viel, um die Jugend an den Sport heranzuführen. Motor dafür soll die Nationalmannschaft der Männer sein.

Die Juniorennationalmannschaft bildet eine Kreis und schwört sich auf das Spiel ein

Einschwören auf die Zukunft: die deutschen Handball­junioren vor dem WM-Finale 2023 Foto: wolf-sportfoto/imago

HAMBURG taz | Nach dem letzten großen Erfolg strömten Kinder in deutsche Hallen und wollten Handball spielen. Sie wollten halten wie Andreas Wolff, werfen wie Julius Kühn, blocken wie Finn Lemke. Zu manchen Trainingstagen in den regionalen Zentren dieses urdeutschen Sports kamen 60 Jungen und Mädchen, alle neu, hinzu!

Die meisten blieben genau ein Mal. Weil danach die Trai­ne­r*in­nen kapitulierten. Und so blieb die Handballgemeinschaft bald wieder unter sich. Im Februar 2016 geschah das. Die Deutschen waren Europameister geworden. Aber der Verband, der Deutsche Handballbund (DHB), verpasste den Aufschwung, weil er nicht darauf vorbereitet war – in den Vereinen mangelte es an Übungs­lei­ter*in­nen, die den Ansturm hätten bewältigen können.

Aus dem Boom wurde eine Baisse. An der Basis kam von der Begeisterung wenig an – weil Konzepte, Trainer, Hallenzeiten fehlten. Das soll diesmal besser werden.

An der räumlichen Not kann der DHB wenig ändern, außer immer wieder Appelle an die Politik zu richten. Doch gelungene Konzepte für den Kinderhandball gibt es seit dem 1. Juli 2016, und dem Mangel an Trai­ner*in­nen wirkt der DHB entgegen, indem er während der am Mittwoch startenden Europameisterschaft 1.000 Coaches in einem Kurzlehrgang an den Spielorten ausbildet. Ziel ist, dass kein handballbegeistertes Kind nach der EM von den Vereinen abgewiesen werden muss.

Knapp 740.000 Mitglieder sind im DHB als weltgrößtem Handballverband organisiert. Nie hat er mehr dafür getan als derzeit, wieder größer und attraktiver zu werden – 2.000 Grundschulen wurden im Herbst und Winter bundesweit von Handballvereinen oder Abteilungen besucht, um die Lehranstalten mit der Sportart und den Möglichkeiten ihrer Vermittlung vertraut zu machen. Dazu kommt die Ausbildung der Kinderhandball-Trainer*innen

Vorbild Basketball

Der Verband hat viele Themen auf der Agenda und möchte die Heim-EM als Verstärker nutzen. Beim Tag des Handballs im November in München wurden gezielt Familien mit Mi­gra­tions­hin­ter­grund angesprochen und zu den Spielen Deutschland–Ungarn (Frauen) und Deutschland–Ägypten bei den Männern eingeladen. Nicht nur kleine Spielerinnen und Spieler sollten dem Sport nähergebracht werden. Es gab auch Aktionen für Zugewanderte als Trai­ne­r*in­nen und Schiedsrichter*innen.

Dem Basketball gelinge es viel leichter, Kinder mit Zuwanderungsgeschichte zu gewinnen, sagt DHB-Vorstand Mark Schober. Das wolle der DHB auch – habe sich aber erst auf den Weg gemacht. Diverser, bunter, jünger und weiblicher möchte Schober den deutschen Handball sehen. Der politische Druck in Richtung equality nehme zu.

Der DHB nimmt diesen Auftrag ernst und veranstaltet die WM der Frauen 2025 gemeinsam mit den Niederlanden. Schober glaubt finanziell und ideell an den Frauenhandball; er schaut genau hin, was die Skandinavier machen, wie sie den Frauenhandball präsentieren, ihn vor vollen Hallen feiern.

Die Hintergründe: In Sachen Gleichberechtigung sind Norwegen und vor allem Dänemark und Schweden seit den siebziger Jahren Vorreiter und liegen hier in vielen Bereichen weit vor der Bundesrepublik – im Frauenhandball besonders. Lange bevor die Männerteams unserer nordischen Nachbarn stark wurden, waren die Spielerinnen aus Dänemark und Norwegen weltweit führend. Die Schwedinnen holen gerade auf.

TV-Zeiten zur Primetime bei den staatlichen Sendern und Unterhaltungsformate mit den Handballstars sorgen für Bekanntheit. Die Aufteilung der Länder in regionale Leistungszentren erlaubt den nordischen Verbänden (und beispielsweise auch den Niederländerinnen) einen guten Zugriff auf die Stars von morgen. Ein Prozess, den der DHB gegen viele interne Widerstände aus den Landesverbänden im Frauenhandball erst angeschoben hat.

Widerstände aus den Klubs

Die Re­gio­na­li­sie­rung mit Leis­tungs­zen­tren hat der DHB zwar schon beschlossen, doch die Idee harrt der Umsetzung, was jüngst Präsident Andreas Michelmann kritisierte. Allzu oft werde im Handball – und nicht nur da – nach dem Prinzip „Talk and ­delay“ verfahren. Daran, dass die Bundesligavereine gut genug ausbilden, um eine starke Frauennationalmannschaft zu bekommen, glaubt Michelmann nicht mehr: „Wir müssen den Vereinen das abnehmen.“ Und zwar in den regionalen Zentren.

Hier kommt man allerdings an den entscheidenden Punkt. Der Verband kann noch so viel anstoßen – solange der durchschlagende sportliche Erfolg fehlt, mangelt es ihm an Publizität und Glaubwürdigkeit, um genug Aufmerksamkeit und Akzeptanz für die vielen guten Ideen zu haben, die sonst nur in der Handballblase diskutiert würden. „Wir sind nicht nur wirtschaftlich sehr abhängig vom Erfolg der A-Nationalmannschaft der Männer“, sagt Schober dazu.

Und die sucht seit dem überraschenden Titelgewinn in Polen vom Januar 2016 ihre Rolle an der Weltspitze. Irgendwo zwischen Platz fünf und neun kann man sie einordnen; bei der EM wäre das Erreichen des Halbfinals von Bundestrainer ­Alfred Gislasons Mannschaft eine Überraschung – aber der wirkungsvollste Move, um junge Schichten zu begeistern, um die Spieler von morgen überhaupt anzusprechen.

Auch insofern lastet ein erheblicher Druck auf der jungen Mannschaft, die gleich im ersten Spiel gegen die Schweiz am Mittwoch in Düsseldorf (20.45 Uhr/ZDF) gefordert sein wird. Gislason und seine Spieler scheuen sich, ein Ziel auszurufen, was in Anbetracht der enteilten Dänen und Franzosen, der starken Schweden, Isländer und Ungarn nachvollziehbar ist.

Wie es funktionieren kann, hat die Junioren-WM im Sommer in Hannover, Magdeburg und Berlin gezeigt. Hier wurde von vornherein der Titel als Ziel des „Wunderjahrgangs“ 2002/2003 ausgerufen. Das Team knickte nicht ein, sondern rauschte durchs Turnier und begeisterte ein recht großes Publikum durch Überzeugung gepaart mit Leichtigkeit. Entstanden war dieser Erfolg durch zähe Jugendarbeit an drei, vier Zentren – Berlin/Potsdam, Mannheim, Hannover, Magdeburg. Auffällig, dass die beiden dominierenden Teams des vergangenen Jahrzehnts mit diesem Pokal wenig zu tun hatten: Kiel und Flensburg, wo man den starken Nachwuchs traditionell aus Skandinavien holt, nicht den deutschen ausbildet.

Eingeschworene Handballgemeinschaft

Geld hat der DHB mit dieser Junioren-WM nicht verdient, aber Begeisterung erzeugt – die Hallen waren ausverkauft, die Spieler staunten über die Stimmung beim Finale in Berlin und sahen junge Fans in ihren Trikots herumlaufen. An den Spielorten erlebte man Busladungen voller Teams aus ganz Deutschland, die später die Ränge bevölkerten, Mädchen aus Minden, die mit Jungs aus Wallau flirteten – die Handballgemeinschaft ist vergleichsweise groß, in den Bundesländern mit starken Erstligisten wie Schleswig-Holstein spielen nach Fußball die meisten Kinder und Jugendlichen Handball. Vier der U21-Weltmeister hat Gislason in seinem EM-Kader.

Man kann sich nun die Frage stellen, ob der DHB wirklich in alle möglichen Richtungen wachsen muss oder ob es reicht, die eigene Klientel angemessen zu bedienen. In manchen Bereichen stößt der Verband an seine Grenzen: Wie mit Nachhaltigkeit verfahren? Reicht die Bahn als Partner der EM, um das Thema glaubwürdig zu besetzen? Was macht man mit der Digitalisierung? Genügt es, Ju­gend­spie­le per Liveticker im Netz abzubilden? Wird man der gesellschaftlichen Verantwortung allein dadurch gerecht, dass Handballspiele als faire, weitgehend gewaltfreie Veranstaltungen stattfinden?

In der Kommunikation nach außen fehlen dem Verband die Charakterköpfe, die mitreißende Botschaften verkünden und eine gewisse Leichtigkeit ausstrahlen. Nicht umsonst wurde der Handballuniversalist Stefan Kretzschmar im Frühjahr als Manager der Nationalmannschaft gehandelt, als erster Verkäufer. Doch weder wollte er das wirklich, noch bekam die Diskussion genug Schwung, um zielgerichtet bis zum Abschluss weitergeführt zu werden.

Manchmal schaut Vorstand Schober mit Sorge auf die allgemein rezessive Entwicklung in der deutschen Wirtschaft, im Marketing, er vernimmt Signale, dass Budgets für den Profisport schrumpfen, dass nicht mehr jede Halle in der Bundesliga ausverkauft ist. Die Bundesliga muss funktionieren, sie zieht im Lokalen, Regionalen den ganzen Handball, ist die Echokammer, in der Spieltag für Spieltag nun mal über die Details des Geschehens diskutiert wird. Und sie bildet die Spieler aus, die jedes Jahr im Januar die Köpfe der Bewegung sind.

Sollten diejenigen, deren Trikots schon jetzt am meisten getragen werden – Juri Knorr, Julian Köster –, in diesen Tagen nicht zum ganz großen Wurf ansetzen, kommt die nächste Chance schnell: Schon im Januar 2027 trägt der DHB die nächste Großveranstaltung aus, dann ist es eine Weltmeisterschaft. So lange wird der Handball in Deutschland im Gespräch bleiben – wenigstens im Januar.

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