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Mit wilden Augen auf die Welt geschaut

Die Galerie Springer zeigt zwölf Landschaftsaufnahmen von Edward Burtynsky aus der Werkgruppe „African Studies“

Von Brigitte Werneburg

Im 21. Jahrhundert endlich hat Afrika unsere ungeteilte Aufmerksamkeit. War das Engagement der industrialisierten westlichen Welt nach Jahrzehnten des Kolonialismus in den Jahrzehnten der sogenannten Entwicklungshilfe vor allem von Eigennutz geprägt, könnten uns nun die Klimakrise, die Frage der erneuerbaren Energien und die Präsenz Chinas in Afrika von unserem hohen Ross herunterholen.

Auch Edward Burtynsky kam über China nach Afrika. Als er 2004 den Bau des Drei-Schluchten-Staudamms fotografierte, beobachtete er, wie in China neue Fabriken aus dem Boden gestampft wurden, um das Land zum weltweit führenden Produzenten zu machen. Aufmerksam geworden, sah er wie China, um seine Herstellermacht zu sichern, ein Jahrzehnt später begann, Fertigungsanlagen außerhalb des Landes zu bauen und mit den benötigten Vorarbeitern, Technikern und Ingenieuren seinen durch die Ein-Kind-Politik entstandenen Männerüberschuss zu exportieren.

Edward Burtynsky folgte der Spur und bereiste in sieben Jahren zehn Länder südlich der Sahara. Von Kenia ging es über Äthiopien, Nigeria, Ghana und weitere Länder bis nach Südafrika. Aus der Luft fotografierte er in dieser Zeit die Verwüstungen durch Abholzung und Bergbau, aber auch unberührte Natur, echte Wildnis, und mit wilden Augen blickte er auch auf seine Motive. Denn das extrem hohe Auflösungsvermögen seiner Digitalkameras ermöglichen Sensoren, deren Bauplan den Erkenntnissen folgt, die Wissenschaftler aus der Untersuchung der Netzhaut des Wanderfalken, des besten Spähers im Tierreich, gewonnen haben.

Ist die katastrophische Landschaft hierein natürliches Phänomen, ist sie andernorts Ergebnis des Bergbaus

Zwölf Aufnahmen aus diesen „African Studies“ sind jetzt in der Galerie Springer in der Fasanenstraße zu sehen. Auf den ersten Blick glaubt man in den großformatigen, sorgfältig gerahmten Farbfotografien Gemälde des Abstrakten Expressionismus zu erkennen. Bei genauerem Hinsehen wird jedoch schnell klar, dass es sich bei den wuchernden Farbschichten, die den gesamten, horizontlosen Bildraum in allen Blau-, Gelb-, Braun- und Grüntönen ausfüllen, um materielle Ablagerungen auf der Erdoberfläche handelt. Tatsächlich sehen wir Schwefelquellen im Vulkangebiet des Dallol in der Danakil-Depression im Nordosten Äthiopiens.

Es muss abenteuerlich gewesen sein, hier zu fotografieren. Die Danakil-Senke liegt 120 Meter unter dem Meeresspiegel, weshalb die Drohnenausrüstung nicht mehr funktionierte. Laut Burtynsky sagte das GPS: „Ihr dürft hier nicht sein. Ihr seid auf dem Grund des Ozeans.“ Was stimmt. Der Meeresboden ist hier trockengefallen und einer der heißesten Orte der Welt mit Tagestemperaturen von über 50 Grad Celsius. Konsequenz war, dass das GPS nicht sein durfte. Die kamerabestückten Drohen wurden auf Sicht gesteuert eingesetzt.

Das unglaublichste Bild aus der Danakil-Senke zeigt mit Salz beladene Dromedare, eine Karawane, die durch diese Wüste zum Roten Meer zieht, vielleicht zum Hafen von Djibouti. Die Luftaufnahme, distanziert aus kühner Höhe fotografiert, wirkt wieder malerisch, wie ein weißer Fontana mit obligatem Schlitz. Doch dann kommen die Falkenaugen der Kamera und die absolute Präzision und Detailtreue der Aufnahme zum Vorschein. Staunend sieht man, dass nur zwei Männer die 26 Dromedare begleiten. Fast glaubt man, ihre Hufabdrücke zu sehen.

Schwarz-grau-weißer Strudel in den Absetzteichen einer Diamantenmine: Edward Burtynsky, „Tailing Pond #1, Wesselton Diamond Mine, Kimberley, Nothern Cape, South Africa“, 2018   Foto: © Edward Burtynsky, courtesy Galerie Springer Berlin, Metivier Gallery

Ist die katastrophische Landschaft hier ein natürliches Phänomen, ist sie andernorts Ergebnis des Bergbaus wie in der Aufnahme „Tailing Ponds #1, Wesselton Diamond Mine, Kimberley, Northern Cape, South Africa“ aus dem Jahr 2018. Die offensichtlich unregulierten Absetzteiche bilden einen schwarz-grau-weißen Strudel, in dessen Mitte die Hütten der Mine zu sehen sind. Eine ähnliche Farbigkeit zeigt der abstrakte Fleckenteppich der „Salt Ponds #1, Near Fatick, Senegal“, den Burtynsky 2019 fotografierte. Dass die Schönheit der Aufnahmen, ihre rätselhafte Ästhetik der Abstraktion, der prägende Eindruck der Ausstellung ist, mag daran liegen, dass Springer ausschließlich Landschaften aus den „African Studies“ zeigt.

Die Werkgruppe umfasst aber auch Aufnahmen von Fabriken in Äthiopien, vierspurigen Schnellstraßen im Senegal und nagelneuen Eisenbahnlinien in Äthiopien, in denen der dokumentarische Realismus der Fotografie zu seinem Recht kommt. Mit dem Fotojournalismus verbinde ihn, sagt Burtynsky, dass hinter seinen Bildern immer eine konkrete Geschichte stehe. Er stelle zwar die Kunst in den Vordergrund und orientiere sich an ihr, aber alles, was er fotografiere, habe mit der Frage zu tun: Wer zahlt den Preis für das Bevölkerungswachstum und den Erfolg unserer Spezies? Und seine Antwort lautet: „Es sind die Tiere, die Bäume, die Prärien, die Feuchtgebiete, die Ozeane – dort wird der Preis bezahlt, und sie alle werden zurückgedrängt. … Die Natur steht also im Mittelpunkt – und mein gesamtes Werk ist eigentlich eine Art ausgedehntes Klagelied über den Verlust der Natur.“ Und das ist bei Springer nun eindrücklich zu erfahren.

„African Studies“: Edward Burtynsky, Galerie Springer, bis 2. März

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