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Eisschwimmerin Tina DeekenDem Körper ganz nah

Die Para-Athletin Tina Deeken erlebt im Eiswasser eine intensivierte Körperwahrnehmung. Nun sammelt sie Medaillen im Para-Eisschwimmen.

Feierte im vergangenen Jahr viele, viele Erfolge: Eisschwimmerin Tina Deeken Foto: Florian Petrow

Hamburg taz | Tina Deeken ist Eisschwimmerin und wenn sie ins Wasser geht, stellt das ihren Körper vor einige Herausforderungen: Der Körper konzen­triert sich darauf, vor allem die inneren Organe mit Wärme zu versorgen – dadurch können die Muskeln in Armen und Beinen verkrampfen. Der Temperaturschock erzeugt puren Stress für den Körper, durch den man im Wasser hektisch nach Luft schnappt.

Ungeübte Schwim­me­r*in­nen können in maximal fünf Grad kaltem Wasser leicht in Panik geraten, Neoprenanzüge sind natürlich nicht erlaubt. Sie aber hat gelernt, damit umzugehen. Und: „Ich habe den Vorteil, dass ich im linken Bein eh nichts spüre“, sagt die 47-jährige Para-Athletin aus dem niedersächsischen Löningen.

Leistungssport begleitet die 47-Jährige schon ihr ganzes Leben – trotz angeborener Hüftdysplasie. Bei einer Operation im Jugendalter wird der Ischiasnerv verletzt. Seitdem ist Deekens linkes Bein komplett gelähmt. Sie muss eine Ganzbeinorthese tragen und auf Krücken laufen. Mit Tennisspielen war Schluss, auch der Traum eines Sportstudiums geplatzt. Was aber während der Reha half, war Schwimmen.

30 Jahre später ist Tina Deeken fast jeden Tag im Wasser. „Durch den Sport bin ich im Alltag mobiler“, sagt die hauptberufliche Förderschullehrerin. Frühmorgens vor dem Unterricht zieht sie in der Schwimmhalle ihre Bahnen, alle zwei Tage trainiert sie draußen in der Kälte. „Die Bewegung hilft gegen die Spastik im Bein und lindert den Schmerz“, sagt sie.

Als einer ihrer Arbeitskollegen vor einigen Jahren begann, sich auf den Triathlon in Hannover vorzubereiten, begleitete Deeken ihn regelmäßig zum Schwimmtraining. 2014 geht sie dann zum ersten Mal selbst beim Triathlon an den Start. Die Fahrraddisziplin absolviert sie im Handbike, die Laufstrecke lässt sie erst mal aus, denn dafür braucht man einen Rennrollstuhl. Den konnte Deeken sich erst 2019 zulegen, mit Unterstützung der Lotto-Sport-Stiftung und eines privaten Spenders. „Schweineteuer“ sei der Rolli gewesen, doch es hat sich gelohnt.

Sieben WM-Titel, fünf Weltrekorde

Im vergangenen Jahr absolviert Deeken ihren ersten Para-Triathlon und wird zweifache deutsche Meisterin in der Sprint- und Kurzdistanz. Doch viel wichtiger: Durch die Vorbereitungen auf den Triathlon war die Leidenschaft fürs Schwimmen zurückgekehrt. Den Bodensee hat Tina Deeken bereits durchquert, als Teil einer inklusiven Staffel den Ärmelkanal durchschwommen, 17,5 Kilometer ist sie längsseitig durch den Wörthersee gepflügt.

Im Oktober 2018 entdeckt Deeken dann das Eisschwimmen. „Im Eiswasser bist du ganz bei dir und hörst bewusst auf das, was der Körper sagt“, berichtet sie. 2022 holt Deeken bei der Para-WM in Polen über 50, 100 und 250 Meter insgesamt sieben Weltmeistertitel, die sie im Jahr darauf in den französischen Alpen verteidigt. Deekens Bilanz am Lac aux Dames: acht Einzelstarts, sieben Weltmeistertitel und fünf Weltrekorde. Doch trotz all der Erfolge: „An die Kälte gewöhnt man sich nie so ganz. Es ist immer wieder eine Überwindung, da reinzugehen“, sagt Deeken.

Im vergangenen Jahr wurde Deeken vom Behinderten-Sportverband Niedersachsen zur Behindertensportlerin des Jahres ernannt. Im Dezember erhielt sie vom Ministerpräsident Stephan Weil die Niedersächsische Sportmedaille. Die Ehrungen für ihre Erfolge als Para-Athletin begreift Deeken eher als Auftrag. Sie setzt sich ein für noch mehr inklusiven Sport und mehr Zuspruch für Para-Wettkämpfe.

Die nächste Gelegenheit dafür bietet sich schon in Kürze bei der Eisschwimm-EM in Rumänien im Februar.

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