Unabhängige Gefangenenzeitung: Elegant und bissig

Der „Lichtblick“ ist zurück. Spätestens Weihnachten dürften die Gefangenen das erste Heft der neuen Redaktion erhalten. Digital ist es schon jetzt abrufbar.

In fen den Redaktionsräumen des Lichblick

Redaktion der Gefangenenzeitung „Der Lichtblick“ der JVA Tegel Foto: Florian Boillot

BERLIN taz | Es ist kalt, Schnee liegt auf den Höfen der JVA Tegel. Türen werden vor einem auf- und hinter einem zugeschlossen, es geht treppauf und treppab, dann hat man sie erreicht – die Redaktionsräume der unabhängigen Gefangenenzeitung Lichtblick. Die erste Ausgabe, die die neue Redaktion weitgehend in Eigenregie erstellt hat ist, fertig.

Bis die Zeitung gedruckt und in den Haftanstalten ausgeliefert ist, werden vermutlich noch ein paar Tage vergehen. Spätestens Weihnachten dürften die Gefangenen das neue Heft aber in den Händen halten. Nicht inhaftierte Abonnenten und Abonnentinnen können die Texte schon jetzt auf der Homepage des Lichtblicks lesen, möglichst gegen eine Spende.

Es mutet immer noch wie ein kleines Wunder an, dass es den Lichtblick, Deutschlands einzige unabhängige Gefangenenzeitung, wieder gibt. Die Kurzversion der Ereignisse geht so: Wegen mutmaßlich krimineller Machenschaften eines Redakteurs war die frühere Redaktion nach einer polizeilichen Durchsuchung Ende August 2022 geschlossen worden. Ein Hilferuf des unabhängigen Berliner Vollzugsbeirats hatte die taz-Panterstiftung erreicht. Ob diese beim Aufbau einer neuen Redaktion helfen könne? taz-Redakteurinnen und Redakteure hatten in Tegel daraufhin einen Zeitungsworkshop für interessierte Gefangene veranstaltet. Aus einer Gruppe von 14 Teilnehmern wurden dann vier Gefangene für die neue Redaktion bestimmt.

Wärme empfängt einen, wenn man die Redaktionsräume in der vergangenen Woche betritt. Die Heizung im Knast ist voll aufgedreht, aber es ist auch ein herzlicher Empfang. Man kennt sich aus dem Workshop, ohne den es den Lichtblick heute wohl nicht mehr gebe. Adrian U., Steffen K. und Peter M., 42, 34 und 62 Jahre alt, bilden die neue Redaktion. Der Vierte im Bunde ist ausgeschieden, über die Gründe sei Stillschweigen vereinbart worden, heißt es.

Wenig Platz in der Redaktion

Viel Platz ist nicht in der Doppelzelle, die mit Schreibtischen, Computertechnik, Drucker und Telefonfestnetz ausgestattet ist. Selbstgebastelte Weihnachtssterne schaukeln an der Lampe, im Regal sind Gesetzestexte aufgereiht. Die Seitenfolge der ersten Ausgabe hängt am Flippchart.

Den Lichtblick zu machen ist eine große Verantwortung. Seit 56 Jahren gibt es das traditionsreiche Blatt, das bundesweit in einer Auflage von 7.500 Exemplaren erscheint. Nicht nur Gefangene haben es abonniert. In Deutschland ist es die einzige unabhängige Gefangenenzeitung, die innerhalb eines Gefängnisses produziert wird.

Eine goldglänzende „1“ ziert das Cover der ersten Ausgabe. Wie die Nullnummer, die im taz-Panterworkshop entstanden ist, ist das Deckblatt weiß und schlicht. 63 Seiten umfasst die Ausgabe. War der Lichtblick früher ein buntes, unübersichtliches Sammelsurium, ist er nun übersichtlich und entschlackt. Die Überschriften sind Grün. Fotos und grafischer Gestaltung sind viel Platz eingeräumt worden. Die neue Eleganz bedeute aber nicht, dass der Lichtblick weniger bissig sei, betonen die Redakteure.

Erhalten geblieben sind die Kontaktanzeigen, die Chiffreabteilung, wie sie genannt wird. Für die Abonnenten, die im Knast sitzen, sei das extrem wichtig. 130 Inserate verteilt auf sieben Seiten gibt es. Auch die Doppelseite mit dem Pinup-Girl – diesmal sind es sogar zwei – ist erhalten geblieben. Und für diejenigen, die Männer mögen, gibt es einen Pinup-Boy, allerdings nur auf einer Seite. Das Pinup abzuschaffen, wäre ein Tabubruch. Viele Gefangene würden die Seiten raustrennen und in ihr Zimmer hängen.

Zimmer? Ja. Das klinge viel angenehmer als Zelle oder Haftraum, erklären die Redakteure. Denn auch das sei Anliegen des Lichtblick: „Wir wollen Verwaltungssprech vermeiden und auch damit die Barrikade zwischen drinnen und außen auflösen.“

Gut recherchiert

Wie viel Arbeit und Mühe in der ersten Ausgabe steckt, können vermutlich nur Leute ermessen, die sich mit Zeitungsmachen auskennen. Der Aufmachertext ist eine gründlich recherchierte Geschichte über die Folgen des Fundes einer Knallkartusche in der Schlosserei in der JVA Tegel. Der Verfasser hat mit vielen Menschen geredet, Anfragen an die Justizverwaltung geschickt. Auf drei Seiten dröselt er minutiös auf, dass die Anschuldigung gegen einen Gefangenen, der im Text als B. bezeichnet wird, vermutlich haltlos war. Es habe auch nie eine Anklage, geschweige denn ein Strafverfahren gegen ihn gegeben. Dennoch sei B. 78 Tage in Tegel auf der Sicherungstation B1 isoliert worden.

Was die Sicherungsstation B1 ist, erklärt der Vorsitzende des Berliner Vollzugsbereirats Olaf Heischel im Text daneben. Die Überschrift: „Die Zellen für die Bösen“. Ein gelungener Themenschwerpunkt, Profis hätten es kaum besser machen können.

Die „gigantische Verantwortung“ sei ihr bewusst, schreibt die Redaktion im Editorial. Jeder ankommende Brief, jedes Telefonat offenbare eine „unüberschaubare Dimension“ der Missstände in Deutschlands Haftanstalten, im Maßregelvollzug und in den Häusern für Sicherungsverwahrte. Unzählige wichtige Themen hätten sie auf dem Tisch, die Auswahl sei da nicht einfach.

Das erste Heft der neuen „Lichtblick“ können Sie bereits hier lesen.

Die Technik ist kompliziert

Eine im Vergleich zu alten Lichtblick-Ausgaben ungewöhnliche Mischung findet sich im Blatt. „Beerdigung neu gedacht“ lautet eine Überschrift. „Was, wenn Angehörige versterben und Du bist im Knast?“ Es gibt einen Bericht über PrisonWatch, eine Vereinigung, die aus den USA kommt. Die Informationen wurden nicht irgendwo abgeschrieben, der Autor hat persönlich mit Mitgliedern des deutschen Ablegers von PrisonWatch gesprochen. Überrascht hat auch, dass der unabhängige Polizeibeauftragte Alexander Oerke den Lichtblick besucht hat. Auch dazu gibt es einen Text.

Zufrieden und auch glücklich, dass es geschafft ist, sind die drei Redakteure. Alleine, ohne Unterstützung von außen wären sie mit der Technik aber nicht klargekommen, sagen sie.

Jörg Kohn, Layouter der taz und Metin Yilmaz, Redaktionscoach, bestätigen das. Beide haben die Redaktionsgemeinschaft bei der Produktion der ersten Ausgabe betreut. Gründe gibt es viele: Die Ausstattung der Geräte mit der erforderlichen Software durch die Anstalt habe sehr lange auf sich warten ließ. Die Programme vom Layout bis hin zur Erstellung einer fehlerfreien Datei mit der Druckvorlage zu bedienen sei, müsse man zudem erst lernen. „Eigentlich ist das eine Berufsausbildung“, sagt Kohn.

„Ich bin sehr stolz darauf, was sie da geschafft haben und auch fasziniert“, sagt Yilmaz. „Aber sie brauchen auf jeden Fall weiter Hilfe, auf allen Ebenen.“ Die Programme bräuchten immer wieder ein Update, die Versionen müssten kompatibel gemacht werden Auch Kohn sieht das so: „Es wird noch ein paar Ausgaben brauchen, bis sie das ganz alleine können“.

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