Russische Athleten bei Olympia 2024: Schande oder Chance
In Russland wird darüber diskutiert, ob man Sportler zu Olympia nach Paris entsenden soll. Die Bedingungen des IOC gelten vielen als inakzeptabel.
N un steht also fest, unter welchen Bedingungen Sportlerinnen und Sportler aus Russland an den Olympischen Sommerspielen im kommenden Jahr in Paris teilnehmen dürfen. Nationale Abzeichen dürfen nicht getragen werden, die Athletinnen und Athleten dürfen keine Militärs sein, sich nicht für die russische Kriegspropaganda einspannen lassen und müssen sich schriftlich zum Frieden bekennen. Mannschaften darf Russland gar nicht entsenden. Wer diese Kriterien erfüllt und die üblichen Qualifikationen übersteht, kann vom Internationalen Olympischen Komitee eine Einladung zu den Spielen erhalten.
In der Ukraine gilt diese Entscheidung als Skandal. Außenminister Dmytro Kuleba meinte, die Entscheidung des IOC ermutige Russland, seine bewaffnete Aggression gegen die Ukrainer fortzusetzen. Und in Russland fühlt man sich einmal mehr ungerecht behandelt. Das Russische Olympische Komitee hat zunächst gar nicht auf die Entscheidung der Oberolympier um Thomas Bach reagiert. Kein Wunder – die Entscheidung, welche Konsequenzen aus der IOC-Entscheidung zu ziehen sind, fällt im Kreml, nicht in der Zentrale des russischen Sports.
Klarheit hatte man sich von der Jahrespressekonferenz erhofft, die Wladimir Putin in der vergangenen Woche gegeben hat. Der Staatspräsident meinte zwar, dass er verstehe, dass alle Athleten, die über Jahre hart trainiert haben, sich mit den Besten messen wollen. Er sagte aber auch, dass die Vorgaben des IOC so gestaltet seien, dass sie eine Teilnahme der besten Russen verhindern würden.
Wenn der Eindruck entstehe, der russische Sport sei am Sterben, dann müsse man sich die Teilnahme an den Spielen ganz genau überlegen. Seitdem wird in Russland diskutiert, ob russische Sportlerinnen und Sportler nicht besser zu Hause bleiben sollten im nächsten Sommer.
Überflüssige Weigerung
So gab am Sonntag Rückenschwimmer Jewgeni Rylow, Doppelolympiasieger bei den Spielen 2021 in Tokio, im Sportkanal MatchTV eine beinahe schon staatstragende Erklärung ab: „Ich weigere mich, zu den Olympischen Spielen zu fahren.“ Was wie ein starkes Statement rüberkommen sollte, ist nichts weiter als eine sinnlose Ankündigung. Rylow hatte im März 2022 an jener kriegsverherrlichenden Propagandashow zum Jahrestag der Annexion der Krim im Moskauer Luschniki-Stadion teilgenommen und seine Einladung zu den Spielen ohnehin längst verwirkt.
Auch die besten rhythmischen Sportgymnastinnen hatten an der Show unter dem Kriegssymbol „Z“ teilgenommen. Wenn also Verbandschefin Irina Viner sagt, dass ihre Gymnastinnen niemals ohne russische Flagge und Hymne antreten werden, tut sie das in dem Wissen, dass ihre Sportlerinnen die IOC-Kriterien für eine Teilnahme sowieso nicht erfüllen können. Viners starke Worte finden dennoch große Verbreitung im Land: „Es wäre eine Schande, wenn wir zu Olympia fahren würden.“
Der lautstärkste Kritiker des IOC in Russland ist Umar Kremlew, der Chef des Internationalen Boxverbands IBA, der um den Status seines Verbands als Mitglied der olympischen Familie kämpft. Für den 41-Jährigen ist IOC-Chef Thomas Bach ein korrupter Dieb, der ungeeignet für das Amt sei. „Ich möchte, dass der Sport von diesen Hyänen befreit wird“, sagte er. Es sei eine Demütigung für einen Sportler, ohne Flagge und Hymne aufzutreten.
TV-Kommentator und Putin-Propagandist Jewgeni Gubernjew ist da anderer Meinung. Er werde alle unterstützen, die nach Paris fahren, hat er gesagt und will sie auch gegen möglichen Hass aus der Heimat in Schutz nehmen. „Es gibt keinen Grund, auf die Sesselfurzer zu hören, die so gerne darüber reden, wie sehr sie ihr Heimatland lieben“, meint er. Sportlern gehe es darum, Leistung zu bringen. Das könnten sie auch als neutrale Athleten.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Wissings Verkehrsprognose 2040
Auto bleibt wichtigstes Verkehrsmittel
+++ Nachrichten im Nahost-Konflikt +++
Libanon-Konferenz sagt eine Milliarde Dollar zu
Urteil im Diesel-Skandal
Erstmals ist hierzulande die Natur im Recht
Cem Özdemir will nach Baden-Württemberg
’S kann losgange
Bauhauskritik der AfD
Widersprüchlich und gerade deshalb modern
Lecks in der Gas-Infrastruktur
Jede Menge unkontrolliert entweichendes Methan