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: „Wenn wir Licht dazugeben, entfällt der Schutz“

Mark Lenz erklärt, wie nächtliches künstliches Licht den Biorhythmus von Meerestieren beeinflusst

Interview Petra Schellen

taz: Herr Lenz, warum ist Lichtverschmutzung auch für Meerestiere problematisch?

Mark Lenz: Weil nächtliches Kunstlicht quasi den Tag verlängert und die Nacht verkürzt. Das hat Folgen für den Biorhythmus von Meerestieren, die an den natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus angepasst sind.

Von welchen Lichtquellen reden wir?

Das reicht von Straßenlaternen über die Beleuchtung in Häfen, an Gebäuden, in Aquakulturanlagen bis zu Schiffen und Bohrinseln. Es sind also nicht nur Küsten betroffen, sondern auch Gebiete im offenen Meer.

Bis zu welcher Wassertiefe reicht das Kunstlicht?

Das variiert. In trübes Wasser dringt es weniger tief ein als in klares. Auch die Wellenlänge des Lichts spielt eine Rolle. Blaues Licht reicht zum Beispiel am tiefsten. Britische Forscher haben errechnet, dass entlang der Küsten 1,6 Millionen Qua­dratkilometer Meeresboden in 10 Meter Wassertiefe noch von biologisch relevantem Kunstlicht erreicht werden. Insgesamt sind knapp 25 Prozent aller Küsten weltweit betroffen.

Und was genau haben Sie erforscht?

Foto: Geomar

Mark Lenz

52, Meeres­biologe mit Schwerpunkt Ökologie, ist Koordinator des GAME-Programms (Globaler Ansatz durch modulare Experimente) am Geomar Helmholz Zentrum für Ozeanforschung in Kiel.

Wir haben geschaut, wie sich Licht auf die Aktivität von Weidegängern im Meer – also Pflanzenfressern – auswirkt. Dazu zählen beispielsweise Seeigel und Schnecken. Dann haben wir filtrierende Organismen wie Muscheln untersucht. Die jüngste Studie befasste sich mit der Wirkung von Kunstlicht auf die Entwicklung ganzer Lebensgemeinschaften.

Welches war Ihre Methode?

Wir haben Tiere gesammelt und im Labor eine Gruppe in nächtlicher Dunkelheit belassen und eine andere nächtlichem Kunstlicht ausgesetzt. Dann haben wir geschaut, wie sich die Aktivitätsmuster der Tiere verändern. Das Besondere ist, dass wir die Experimente global replizieren, sie also an vielen Orten parallel mit derselben Methode durchführen. Nur so können wir feststellen, ob ein Effekt sich überall gleich einstellt oder ob die Wirkung vom lokalen Ökosystem abhängt.

Das Ergebnis?

Tiere reagieren je nach Ökosystem und Art verschieden. Einige tagaktive Tiere werden nachts aktiver und nutzen das Licht beispielsweise, um zu fressen. Andere, nachtaktive Arten werden inaktiver, weil sie darauf angewiesen sind, sich nur im Dunklen zu bewegen, um Fraßfeinden zu entgehen. Solche Tiere haben bei nächtlicher Beleuchtung dann weniger Zeit zum Fressen. Ihr zeitliches Habitat, ihr Lebensraum ist die Dunkelheit. Und auch wenn die Forschung noch am Anfang steht, lässt sich sagen: Kunstlicht könnte durchaus dazu beitragen, dass sich Populationen und Ökosysteme verändern.

Vortrag „Wenn die Dunkelheit fehlt: Wie sich Lichtverschmutzung auf Meerestiere auswirkt“: heute, 16.30 Uhr, Uni Kiel, Arnold-Heller-Str. 2, sowie online via Zoom; Infos und Einwahl­daten: www.toxi.uni-kiel.de

Welche nachtaktiven Tiere könnten gefährdet sein?

Seeigel zum Beispiel. Viele Arten saugen sich tagsüber sehr fest am Untergrund an und bewegen sich nur im Dunklen. Fische, die Seeigel fressen, versuchen oft, den Seeigel auf den Rücken zu drehen, um an den Mundbereich heranzukommen. In der Dunkelheit ist der Seeigel für diese Fraßfeinde aber unsichtbar. Wenn wir Licht dazugeben, entfällt dieser Schutz.

Was ließe sich gegen diese Lichtverschmutzung tun?

Ein Ansatz ist, die Dauer der Beleuchtung pro Nacht zu reduzieren. Möglich wären auch smarte Beleuchtungssysteme, die nur angehen, wenn jemand vorbeigeht. Auch könnte man die Lichtfarbe so wählen, dass sie Tiere möglichst wenig beeinflusst. Man könnte LED-Lampen so einstellen, dass sie vor allem gelbes Licht emittieren. Wir vermuten, dass weißes LED-Licht Tiere aus dem Rhythmus bringt, weil sie es mit dem Sonnenlicht verwechseln.