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Wie es sinkt und kracht

Der FSV Mainz dominiert zu Hause gegen den FC Heidenheim – und verliert dennoch 0:1. Vor dem Auswärtsspiel gegen Dortmund macht sich Angst breit. Interimstrainer Jan Siewert könnte kurz vor der Ablösung stehen

Aus Mainz Frank Hellmann

Glücklicherweise kam die Stadionregie beim FSV Mainz 05 gar nicht auf die Idee, die Eindrücke eines arg ernüchternden Bundesliga­spiels noch mit irgendwelchen Stimmungsliedern zu übertönen.

Aus den Lautsprechern kam nach Schlusspfiff so wenig wie die ersten zwölf Minuten nach Anpfiff aus dem Fanblock. So schwappte recht unverfälscht zwar kein gellendes Pfeifkonzert, aber doch hörbarer Unmut nach der unnötigen Heimniederlage gegen den 1. FC Heidenheim (0:1) von den Rängen auf den Rasen. Es war ein deutliches Alarmzeichen für den Tabellenvorletzten mit der Botschaft, dass es so nicht im neuen Jahr weitergehen kann.

Der Aufsteiger von der schwäbischen Ostalb wusste in Person seiner Trainerinstitution Frank Schmidt eigentlich selbst nicht genau, wie eine solch hausbackene Vorstellung mit dem ersten Gewinn von drei Punkten bei einem Auswärtsspiel belohnt werden konnte. „Am Ende geht es nicht um verdient oder nicht verdient, wir haben das Spiel gewonnen“, sagte Schmidt.

Sein Mainzer Kollege, Interimscoach Jan Siewert, klagte derweil darüber, es sei „absurd, dass der Ball nicht reingeht“. Er habe doch „jeden Offensivspieler, der im Kader war, auf den Platz gebracht“ – darunter die Debütanten Marcus Müller und David Mamutovic aus der zu Saisonbeginn noch von ihm betreuten zweiten Mannschaft.

In einer verhängnisvollen Mixtur aus Verletzungs- und Abschluss­pech haben sich unter seiner Regie nun fünf sieglose und drei torlose Partien in Folge angesammelt. Und auch der fußballerische Fortschritt verflüchtigt sich mit der Notbesetzung gerade. Der 41-jährige Siewert beharrte fast trotzig darauf, seine Mannschaft gehe weiter „­gegen alle Nackenschläge“ an. Der „bis auf Weiteres“ zu den Profis beförderte U23-Coach wollte in seinem Kreis auf dem Rasen auch eher Applaus denn Unmut gehört haben.

Sportdirektor Martin Schmidt litt nicht unter solch schwerwiegenden Wahrnehmungsstörungen. „Dass die Fans ungeduldig werden“, sagte der Schweizer, sei ihr gutes Recht: „Sie bezahlen schließlich Eintritt.“ Auch für den 56-Jährigen war ansonsten „kaum zu glauben, dass wir kein Tor geschossen haben, so dominant, wie wir das Spiel geführt haben“. Die fehlende Effizienz ist für ihn Kopfsache. Denn: „Mehr Herz wie in der zweiten Halbzeit kann ein Team nicht auf dem Platz lassen.“

In solchen Statements war allerdings sehr viel vorweihnachtliche Schönfärberei verpackt. Die eigentlichen Protagonisten gaben sich solcher Rhetorik nicht hin. Stürmer Marco Richter sprach am Sky-Mikrofon deutlich die Defizite an: „Heute ist so ein Tag, da fehlen selbst mir die Worte. Wir haben diesen Abstiegskampf hier gar nicht angenommen, vor allem in der ersten Halbzeit. Dann kassieren wir ein Slapstick-Tor.“

Tatsächlich fiel der Ball nach einem gar nicht so gut getretenen Freistoß des Heidenheimer Spezia­listen Jan-Niklas Beste über Umwege dem Mitspieler Marvin Pieringer vor die Füße, dessen Schuss rutschte dem Mainzer Torhüter Daniel Batz durch die Beine und prallte vom Verteidiger Philipp Mwene über die Linie (12.).

Kapitän Dominik Kohr monierte die fehlende Körperspannung nicht nur in der Anfangsviertelstunde. Man habe das Spiel verloren, erklärte er, „weil man die erste Halbzeit verschläft und in der zweiten Halbzeit trotz Moral kein Tor schießt“. Zwar folgte noch ein Plädoyer für Siewerts Weiterbeschäftigung („arbeite gern mit Jan zusammen“), doch die Argumente werden schwächer.

„Wir verloren, weil man die erste Halbzeit verschläft und in der zweiten Halbzeit trotz Moral kein Tor schießt“

Dominik Kohr, Mainz 05

Gut möglich, dass FSV-Vorstand Christian Heidel, der mächtige Boss am Bruchweg, bald einen dritten Fußballlehrer für den Rest der Spielzeit vorstellt. Schmidt rutschte nebenher bereits heraus, dass „vielleicht irgendwann ein anderer“ die Blockaden bei den Spielern lösen müsse. Nach der Auswärtspartie bei Borussia Dortmund (Dienstag 20.30 Uhr) werde über Siewerts Zukunft gesprochen, erklärte Schmidt, der sich ansonsten jedoch keinen Fahrplan entlocken ließ. Auch Schmidt scheint nicht mehr überzeugt zu sein, dass das Eigengewächs Siewert denselben Werdegang durchläuft, wie Schmidt selbst es bei den Nullfünfern getan hatte: zweite Mannschaft, erste Mannschaft und irgendwann Sportdirektor.

Ob die Dienstreise nach Dortmund noch die Betrachtung ändert? „Dass da was möglich ist, haben wir schon mal gezeigt“, erinnerte der aktuelle Coach an jenes für die BVB-Gemeinde so folgenschwere 2:2-Remis vom 27. Mai, als die noch von Bo Svensson betreuten Rheinhessen mit ihrem couragierten Auftritt ein schwarz-gelbes Tränenmeer erzeugten. Ihr tadel­loser Sportsgeist kam in den Analysen des irren Meisterschafts­finals 2023 eigentlich stets ein bisschen zu kurz.

Dominik Kohr möchte diesen Coup gerne wiederholen. Seine gewagte These vor dem letzten Spiel des Jahres: „Der Druck ist bei Dortmund.“

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