Ausgehen und rumstehen von Julian Sadeghi: Eine höfliche Geste an die Fische
Bekanntlich regnete es am letzten Wochenende. Statt auszugehen wollte ich rausgehen, dem Wetter zum Trotz. Rumstehen hatte ich von Vornherein nicht vorgesehen wegen der Kälte. Ich schlief bis 8 Uhr und verließ dann stundenlang nicht das Haus.
Dachte darüber nach, dass das aber gut wäre wegen der frischen Luft und der Bewegung und dem Tageslicht und eigentlich auch einfach so. Stattdessen: Ich las, aß, fand zehn neue Gesprächsthemen mit meinen Mitbewohner*innen, lungerte in der Küche herum. Währenddessen wuchs das schlechte Gewissen; Julian, du wolltest rausgehen, es ist Dezember, die Tage sind in einer dreisten Weise kurz, bald wird es schon wieder dunkel. Raus mit dir!
Ich hatte dafür am Samstag und Sonntag 48 Stunden Zeit. Streng genommen, das stimmt, waren es nur etwa 32 Stunden wegen des Schlafs. Ich habe das nachgerechnet. Ich war an beiden Tagen insgesamt fünf Stunden lang draußen und die restlichen 27 Stunden damit beschäftigt, mich zum Rausgehen zu motivieren – und das ist nur minimal gelogen. Dabei bin ich gern draußen: mit dem Fahrrad oder zu Fuß entlang des Hohenzollernkanals oder bestiefelt im Gestrüpp nördlich von Lübars.
Warum nur sind wir so selbstzerstörerisch und tun nicht, wovon wir wissen, dass es gut für uns ist? In welchen Verwicklungen unseres Gehirns geht das unmissverständlich ausgesendete Signal verloren, sich nun unverzüglich des Morgenrocks zu entledigen, den Spazierstock zur Hand zu nehmen und einen Fuß vor den anderen zu setzen? Ich bin kein Kulturpessimist, aber vielleicht sind wir ein bisschen zu bequem geworden. Man könnte all die Lieferdienste dichtmachen, auch die der Supermärkte. Und dann vielleicht die alten Etagenklos auf halber Treppe wieder einführen, das wäre sicher gut, um sich auch mental von der Wohnungshockerei zu lösen.
Gegen halb vier nachmittags war es dann aber so weit: Ich betrete den Innenhof. Der regennasse Wind peitscht mir entgegen, ich drehe direkt wieder um. Laufe zurück in die Wohnung, Regenschirm holen, laufe wieder hinab, rümpfe beim erneuten Verlassen des Hauses die Nase, schüttele mich, schreite voran.
Ich laufe zum Nordhafen. Bauarbeiter installierten dort in den letzten Monaten eine Fischtreppe, nun ist sie fertig. Das ist eine höfliche Geste an die Fische, denke ich, auch wenn ich von den ökologischen Mechanismen dahinter nichts verstehe. Aber Barrierefreiheit ist wichtig, so viel ist klar. Die Fische müssen von A nach B, und vielleicht haben auch sie sich motivieren müssen, endlich mal rauszugehen, rauszuschwimmen. Da kommt so ein Wehr ungelegen. Besser, es gibt eine Treppe.
Ich denke über Fische nach. Die sind immer draußen, bei Wind und Wetter. Aber eigentlich ist das natürlich totaler Quatsch, sie sind ja streng genommen immer drinnen – immer im Wasser. Drinnen und draußen, das sind für Wels, Barsch und Ukelei gar keine Kategorien. Ich denke an die Einführungspointe David Foster Wallaces später als Essay „This is water“ veröffentlichten Abschlussrede vor Studierenden: Zwei junge Fische schwimmen da so durch die Gegend, und dann kommt ihnen ein älterer Fisch entgegen, sagt: „Morning boys, how’s the water?“. Und die beiden Jungfische schwimmen weiter, und dann irgendwann schaut der eine den anderen an und fragt: „What the hell is water?“
Unter Wasser gibt es auch weder Wind noch Wetter, ein weiterer Vorteil in der kategoriearmen Welt der Fische. Aber ich weiß gar nicht, ob das stimmt. Nass ist es so oder so. Was aber garantiert stimmt: Im Wasser gibt es keinen inneren Schweinehund, auch wenn ich bezweifle, dass das Konzept eines inneren Schweinehunds in ein Fischhirn passt. Ich für meinen Teil habe ihn besiegt, das bemerke ich nun nicht ohne Stolz, während ich in der Abenddämmerung einen Fuß vor den anderen setze.
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