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EinbürgerungVor Einbürgerung: Stau

Zu wenige Mit­ar­bei­te­r:in­nen stehen vor einem gewaltigen Überhang an Einbürgerungsanträgen.

Es kommt viel Arbeit auf das unterbesetzte Landesamt zu Foto: Christian Thiel

Berlin taz | Wer die deutsche Staatsbürgerschaft erlangen will, braucht in Berlin viel Geduld: Zwischen einem und fünf Jahren dauert es derzeit, bis die völlig unterbesetzten Behörden einen Antrag bearbeiten. Und das wird sich vorerst auch nicht ändern.

Zuständig für Einbürgerungen waren bisher die zwölf Bezirke, ab Januar wird es eine neu zu schaffenden Abteilung Staatsangehörigkeitsangelegenheiten im Landesamt für Einwanderung (LEA) sein. Das hat – jedenfalls langfristig – durchaus Vorteile: Wer etwa während der Bearbeitung des Einbürgerungsantrages von einem Bezirk in den anderen zieht, braucht den Antrag deshalb nicht mehr neu zu stellen.

Zudem will die neue Abteilung, anders als die Bezirke, mit digitalen Unterlagen statt mit Papier arbeiten. Die Ausländerakte aus dem LEA, die für die Einbürgerung geprüft werden muss, kann dann elektronisch übermittelt statt wie bisher ausgedruckt und auf dem Postweg an den Bezirk gesendet werden – was oft Wochen dauerte.

Auch mehr Mit­ar­bei­te­r:in­nen sollen zur Verfügung stehen. So will Berlin künftig 20.000 Einbürgerungen pro Jahr schaffen statt 7.000 wie bisher. Was immer noch deutlich unter dem Bedarf liegt und auch nur dann erreicht werden kann, wenn die Behörde genügend Mit­ar­bei­te­r:in­nen findet.

Berlin will 20.000 Einbürgerungen pro Jahr

65 der 210 vorgesehenen Stellen sind laut Sabine Beikler, der Sprecherin der Senatsinnenverwaltung, noch unbesetzt. „Der Planung entsprechend werden die Stellenbesetzungsverfahren das ganze Jahr über andauern, sodass die Stellen im Wesentlichen bis zum 1. Januar 2024 besetzt sein sollen“, so Beikler.

Nach Recherchen des RBB sind die meisten Mit­ar­bei­te­r:in­nen noch nicht geschult, auch ist die Software noch nicht einsatzbereit. Zudem kommt auf die neue Abteilung ein Stau unbearbeiteter Altanträge zu. Denn Anfang des Jahres forderte der Senat die Bezirke auf, vorrangig Anträge zu bearbeiten und abzuschließen, die bis 2022 gestellt wurden, und die Neuanträge vorerst abzulegen, um sie später der neuen Abteilung im Landesamt zu übergeben.

Die soll diese Anträge ab kommendem Jahr bearbeiten. Doch weil schon jetzt Personalmangel herrscht, ist es den Bezirken nicht annähernd gelungen, die älteren Verfahren abzuschließen. Laut Sabine Beikler stammen 17.000 der insgesamt 35.500 unbearbeiteten Einbürgerungsakten von 2022 und den Jahren davor.

Der Grünen-Abgeordnete Jian Omar geht sogar von rund 50.000 unbearbeiteten Anträgen aus, die derzeit von den Bezirken zum LEA transportiert werden. Legt man die angestrebte Zielmarke von 20.000 Einbürgerungen pro Jahr zugrunde, wird die neue Behörde zwei Jahre allein damit zu tun habe, Altfälle abzuarbeiten.

Derweil hat die Bundesregierung ein neues Einbürgerungsgesetz auf den Weg gebracht, das zu deutlich mehr Einbürgerungen führen soll. Wenn es in Kraft tritt – das könnte ab April der Fall sein –, muss man nicht mehr acht, sondern im Regelfall nur fünf Jahre in Deutschland gelebt haben, um eine Einbürgerung beantragen zu dürfen.

Auch aus der alten Staatsangehörigkeit muss man sich dann nicht mehr ausbürgern lassen. Nach Erfahrungen von Anwälten werden diese Änderungen zu einer riesigen Zahl einbürgerungswilliger Menschen führen, darunter viele Türk:innen, für die die doppelte Staatsangehörigkeit bisher selten möglich war.

Hinzu kommt noch, dass viele Menschen, die mit der Flüchtlingswelle ab 2013 nach Deutschland kamen, bereits jetzt, in noch größerer Zahl aber in den kommenden Jahren ihre Einbürgerung beantragen können. Das schlägt sich bereits seit 2019 in leicht höheren Zahlen von Einbürgerungsanträgen nieder, im Jahr 2022 war es sogar eine Verdoppelung von 8.000 auf 16.000 Anträge.

Der Trend scheint sich in diesem Jahr fortzusetzen, wobei die Zahlen noch nicht vollständig vorliegen. Wie Jian Omar berichtet, erzählen ihm viele dieser An­trag­stel­le­r:in­nen in seiner Sprechstunde von ihrer Frustration, noch nicht eingebürgert worden zu sein. „Das sind integrierte Menschen, sie sind straffrei und verdienen ihren Lebensunterhalt selbst“, so der Grüne zur taz. „Wir sollten uns über ihre Anträge eigentlich freuen. Aber die lange Wartezeit erzeugt Frust, denn von der Staatsangehörigkeit hängt für sie oft viel ab: von der Berufswahl bis zur Reisefreiheit.“

Die lange Wartezeit erzeugt Frust

Aber nicht nur bei den Einbürgerungsbehörden hakt es, sondern auch an den Volkshochschulen. Wer die deutsche Staatsbürgerschaft will, muss dort einen Sprach- und einen Einbürgerungstest absolvieren. Auf Termine wartet man etwa in Lichtenberg zwei bis drei Monate, erzählt ein Somalier der taz, der vor Wochen Termine für Ende Januar erhielt.

Hinzu kommt: Die Einbürgerungsbehörde muss eine Regelanfrage auf Unbedenklichkeit beim Verfassungsschutz stellen. Und auch dieser Vorgang zieht sich in die Länge. Vor dem Hintergrund durchgewunkener Einbürgerungen von Putin-Propagandisten wird hier zu Recht Gründlichkeit erwartet.

Laut der Antwort des Senats auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen will nur rund die Hälfte der Mit­ar­bei­te­r:in­nen der Bezirksämter, die in Sachen Einbürgerung eingearbeitet sind, in die neue LEA-Abteilung wechseln. Die taz erfuhr aus unterschiedlichen Quellen, dass viele dieser Mit­ar­bei­te­r:in­nen sich auf freie Stellen in ihren Bezirken beworben und oft schon dort die Arbeit aufgenommen haben, weil sie einen kurzen Arbeitsweg schätzen.

Jian Omar spricht von einer konzeptionslosen Übergangsphase: „Ich fordere Innensenatorin Spranger auf, das LEA inklusive der dort neu anzusiedelnden Einbürgerungsbehörde endlich personell so auszustatten, dass es den Arbeitsaufwand bewältigt.“ Der Fokus der Senatorin liege auf Polizei und Feuerwehr – nicht aber beim LEA, kritisiert der Abgeordnete.

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