Doku über verrückten Torwart: Der heilige Higuita
Der Kolumbianer René Higuita wurde mit seinem Skorpion-Kick zur Legende. Eine Netflix-Doku gräbt natürlich nur die guten alten Geschichten aus.
F rüher, ja, da war der Fußball noch gut. Wenn man von heute aus zurückblickt und diese merkwürdig unscharfen Bilder aus der Zeit vor HD, HD plus und Ultra-HD sieht, steigt nicht selten Wehmut auf. Es sind Bilder, die sich so fest eingeschrieben haben ins Fußballhirn der Fans, dass so mancher glauben mag, er sei höchstselbst dabei gewesen, als Gerd Müller im WM-Finale 1974 zum Fehlschuss angesetzt hat, als sich Deutsche und Österreicher 1982 in Gijon dem Fußballspiel verweigert haben oder als der Kameruner Roger Milla in den 90er Jahren nach einem Tor mit der Eckfahne getanzt hat.
Zwei Treffer hat Milla bei der WM 1990 im Achtelfinale gegen Kolumbien geschossen, das Kamerun mit 2:1 nach Verlängerung gewonnen hat. Bei seinem 2:0 nimmt er dem kolumbianischen Torhüter, der sich weit vor dem Strafraum als Anspielstation im Spielaufbau postiert hatte, den Ball ab. Das muss doch René Higuita gewesen sein. DER René Higuita. Der so viele Freistoßtore geschossen hat. Der das Torwartspiel schon damals so ähnlich interpretiert hat, wie es ein Manuel Neuer heute tut, weil er einfach mitkicken konnte.
Bis heute unfassbar ist die Showeinlage, die er am 5. September 1995 im Freundschaftsspiel Kolumbiens gegen England im Wembleystadion gezeigt hat. Der Ball segelt nicht allzu hart geschossen auf sein Tor. Statt ihn einfach aufzunehmen, springt Higuita nach vorne ab und als alle schon denken, der Ball würde ins Tor segeln, katapultiert er seine Füße nach oben und schlägt ihn waagerecht in der Luft liegend mit beiden Schuhsohlen weit nach vorne. Das Bild, wie er da in der Luft steht, ist ikonisch geworden. Die Arme weit ausgebreitet, die Füße hinten nach oben ragend, scheint er einen Skorpion zu mimen. Skorpion, sein Spitzname.
Dass Higuita zu diesem Zeitpunkt längst ein Superstar war, wird in der frischen Doku über ihn bei Netflix noch einmal nachgezeichnet. Er selbst kommt ausführlich zu Wort, ehemalige Weggefährten, seine Lebensgefährtin, seine Kinder. Es ist eine dieser typischen Netflix-Hagiografien, ein Nostalgie-Katalysator für Fußballromantiker. „Es ist eine Kunst“, sagt Higuita selbst. „Ja, er ist verrückt. Aber er ist ein guter Verrückter“, sagt Kolumbiens früherer Spielmacher Carlos „Pibe“ Valderrama. Ja, genau, der mit den Haaren.
Drogenboss und Freund Escobar
Es gäbe durchaus mehr zu erzählen über den Aufstieg der Fußballnation Kolumbien zu Zeiten der Drogenkriege im Land. Higuitas Besuch beim berüchtigten Drogenterroristen Pablo Escobar wird thematisiert. „Er war ein Freund“.
Und seine bezahlte Rolle als Lösegeldüberbringer, wegen der er sieben Monate in Haft saß, wird als Heldengeschichte erzählt. Er, der heilige Higuita, hat dem entführten Mädchen zur Freiheit verholfen. Dann kommen wieder die Bilder von den Spielen, in denen er sein Tor verlässt, zum Dribbling ansetzt und den Ball über das halbe Feld treibt. Bilder aus der guten, alten Fußballwelt.
Dass Higuita diese mal verlassen hat, um in Saudi-Arabien beim heutigen Ronaldo-Klub Al-Nassr als Torwarttrainer zu arbeiten, wird tunlichst verschwiegen in der Doku. Sie soll Fußballfans selig machen, nicht informieren. Higuita, Wahnsinn!
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