piwik no script img

Der Bauch ist rund

Eigentlich sind Fußballspiele zwischen den Hamburger Lokalrivalen HSV und FC St. Pauli leidenschaftliche Kämpfe um Ehre, Stolz und Vorherrschaft. Es sei denn, das Spiel findet auf einem Acker vor zwölf Zuschauern statt

Vom Spielfeldrand Jan Freitag

Dass der FC St. Pauli so was noch mal erleben darf: Ein messerscharfer Traumpass zerteilt die Abwehr des HSV wie warme Butter, der braun-weiße Stürmer läuft auf den Torwart zu. Ein Heber. Das 3:0. Die Vorentscheidung. Heftiger Jubel brandet auf, zumindest so heftig, wie es der verregnete Sonntagmorgen am nördlichen Rand Hamburgs zulässt. Kein Dutzend Zuschauer verteilt sich unter den Bäumen am Spielfeldrand und folgt dem Geschehen davor. Mehr oder weniger.

„Das ham doch die Bayern gewonnen, nicht Deutschland“, meckert einer von drei Besuchern jenseits der 60, als ein Elfmeterpfiff ertönt. Die Aufmerksamkeit gilt noch dem Länderspiel, und später wird er fragen, wie es denn stehe zwischen den 3. Herren des HSV und denen des FC St. Pauli. Hier also findet das letzte große Derby der Saison statt: im HSV-Revier Ochsenzoll, wo ringsum die Rabatten adretter Vorgärten gestutzt werden.

Mit dem Stadion des HSV, der AOL-Arena, haben die Paul-Hauenschild-Plätze zwar so viel gemein wie Fußball mit Ackerbau. Doch auch hier weht ein Hauch von Rivalität über dem, was sich einst Rasen nannte. Vor drei Jahren hat die erste Mannschaft von St. Pauli, dem Underdog vom Millerntor, ihren Pleitenzug von der Erst- in die Drittklassigkeit angetreten. Nun ist sie sogar hinter den Amateuren des Erzrivalen HSV gelandet. Eine Schande!

Da gewinnt so ein Derby auf unterster Ebene – in der Leistungsklasse HB02 – natürlich an Bedeutung. Bei besserem Wetter, beteuert HSV-Stürmer Frank Friedrich, „wären mehr gekommen.“ Wenigstens die Spielerfrauen. Von denen sind es drei. Sie unterscheiden sich von zwei weiblichen St.-Pauli-Fans im Schanzenlook durch Handtäschchen in Pastell.

Es stört nicht, dass beide Teams nur noch einmal absteigen könnten, in die HC, unterer Herrenbereich. Dann ist Schluss, noch tiefer gibt es praktisch nur noch Freizeitfußball im Park. Dennoch: „Hier stecken richtig Emotionen drin“, sagt Frank Friedrich, genannt Wolle, mit 33 in etwa Repräsentant des Altersdurchschnitts auf dem Platz. „Aber kein Hass oder so“, fügt er angesichts des Spielniveaus hinzu.

„Wir werden den HSV in der ganzen Stadt lächerlich machen.“ So hatte St. Paulis Mittelfeldspieler Thomas Meggle vor dem letzten Bundesliga-Derby getönt. Das war im April 2002, St. Pauli verlor 4:0 und stieg ab. Bei den 3. Herren ist das Verhältnis zurzeit eher umgekehrt. Neun zu eins Tore in zwei Spielen. „Hoffentlich bleiben die in der Liga“, sagt einer von St. Pauli über die Gegner vom HSV. Hass klingt in der Tat anders.

Das unfreundlichste Wort des Tages lautet noch „Ananasspiel“. Svend Tomschak lacht. Letzter Spieltag, St. Pauli uneinholbar vor dem HSV, Mittelfeld der HB02-Liga. „Trotzdem ist das hier ein Höhepunkt“, schwört der einzige Ersatzspieler, wechselt sich selbst ein und legt das 5:0 vor. Sein Spielertrainerkollege im HSV-Tor ist da ohnehin nicht mehr recht bei der Sache, und als der Schiedsrichter das Ganze mit dem possierlichen Abschlussritual „Wir beenden das Spiel mit einem gemeinsamen Hipp Hipp Hurra“ abschließt, halten sich selbst die Sieger mit Hochrufen zurück. Das war anstrengend, erst mal eine rauchen.

12,50 Euro kriegt der Unparteiische von der Heimmannschaft. Dafür fährt er oft raus in die Vororte, muss ohne Linienrichter Abseitsentscheidungen treffen und sich auch noch 90 Minuten beschimpfen lassen. Beim Derby bleibt die Stimmung sonderbar locker. „Schiri, der stößt doch“, ruft der einzige HSV-Spieler, der dem bei St. Pauli üblichen Vorurteil vom HSV-Hool wenigstens optisch ein bisschen gerecht wird.

Ansonsten kaum Vorkommnisse. Bei Ecken bleibt der Ball schon mal im tiefen Astwerk hängen, vom Fan-Turnier nebenan fliegt ein Ball rüber, und der Norderstedter Citylauf schluckt die Gefühlswallungen auf dem Feld.

Das Hinspiel auf den Ascheplätzen von St. Pauli war übrigens richtig gut besucht. Im großen St.-Pauli-Stadion nebenan, wo die erste Mannschaft spielte, war es per Stadionsprecher angekündigt worden, und rund 50 Besucher kamen – so viele wie sonst nie. Dass die HSV-Spieler damals so nett waren, schob man bei St. Pauli auf die hohe Fanpräsenz. Humbug! Bei den dritten Herren gibt es eher gesunde Rivalität, Antipathie ist unbekannt. Der Spieler mit der Nummer neun beim HSV ist sogar St.-Pauli-Anhänger, sein Gegenspieler fasst das Spiel mit „schön fair“ zusammen, und Svend Tomschak, der Ersatzspieler, singt vor seinem Einsatz versonnen den Klassiker „Wir sind schlau, wir sind Fans vom HSV“. Das muss der Frühling sein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen