berliner szenen
: Wer Auto fährt, hat recht

Bei schönem Herbstwetter fahren mein Mann und ich mit dem Rad durch Pankow Es ist Samstagvormittag, die Straßen sind ziemlich leer. Wir fahren hintereinander auf dem Radweg. Vorschriftsmäßig.

An einer roten Ampel vor einer Straßeneinfahrt halten wir – ebenso vorschriftsmäßig – an. Dann springt die Ampel auf Grün, und weil wir weiter geradeaus wollen, fahren wir los. Mein Mann zuerst. Ich bin noch vor der Ampel, er schon auf der Straße, da kommt von hinten ein großer schwarzer BMW, der nach rechts abbiegen will. Dabei kollidiert er fast mit meinem Mann. Der bremst geistesgegenwärtig ab, doch das Auto fährt einfach weiter. Ich springe ebenso geistesgegenwärtig vom Rad, ziemlich perplex. Dann kommt das Auto zum Stehen und mein Mann auf die andere Straßenseite. Ich schiebe mein Rad um das Auto herum zur Fahrerseite und bedeute der Person am Steuer, bitte die Scheibe herunterzulassen. Erst da bemerke ich, dass eine ziemlich alte Dame hinter dem Lenkrad sitzt. Sie ist sicher Mitte 80 und sie zittert am ganzen Körper.

Ich erkläre ihr ruhig und höflich den Sachverhalt: „Wir haben genauso Grün wie Sie. Wenn Sie rechts abbiegen, müssen Sie die Fahrradfahrer und auch Fußgänger erst über die Straße lassen, bevor Sie weiterfahren. Das haben Sie nicht getan.“

Erst sagt sie nichts. Dann sagt sie: „So was passiert mir öfter.“ Ich bin nicht so geistesgegenwärtig, wie ich jetzt sein sollen, sondern sprachlos. „‚Mutti, pass auf beim Autofahren‘, sagen meine Kinder immer“, ist ihr zweiter Satz. Ob es übergriffig wäre, wenn ich ihr jetzt sage, dass sie vielleicht wirklich besser auf die BVG umstiege? Fast tut sie mir leid. Aber dann fängt sie sich und sagt giftig das, was Autofahrer häufig in solchen Situationen sagen: „Na ja, Fahrradfahrer haben ja sowieso immer recht.“

Gaby Coldewey