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Ausgehen und rumstehen von Aleksandar ZivanovicEine Lücke erinnert daran, dass vorher was da war

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Es ist Samstagabend, der Leopoldplatz dunkel. Auf dem Bürgersteig kommen mir zwei Jugendliche entgegen. Plötzlich fällt einer von ihnen auf den Boden, zwei Meter von mir entfernt. Er dreht sich zu mir um und fragt mich, was mich sehr überrascht, ob ich ihm ein Bein gestellt hätte. Ich sage nichts und gehe weiter. „Was ist los, hä?“ ruft er hinterher, das Hä schreit er wie James Brown. Ich gehe weiter. Die beiden folgen mir. „Warum hast du das gemacht? Soll ich die Polizei rufen?“ Sie sind zwei Köpfe kleiner und wollen Stress. Ich drehe mich um und sage: „Ruf die Polizei.“ Sein Kumpel packt ihn am Arm, sie drehen um. Vielleicht hat sie meine große Zahnlücke vorne rechts beeindruckt aus Angst, dass ihnen das Gleiche passieren könnte. Eine Lücke erinnert einen daran, dass vorher was da war, was man nicht einfach so ersetzen kann.

Ortswechsel. Neben mir hüpft eine ältere Dame fröhlich auf und ab. Sie singt: „I don’t like Räggiii“. Wir sind im Metropol am Nollendorfplatz. Die Band 10cc spielt, Rock-’n’-Roll-Legenden aus Manchester. Das Publikum grob geschätzt über 60, die Musiker bis auf einen über 70. 10cc hatten ihren ersten Hit im Jahr 1972: „Donna“ hieß der Song. Ihren letzten Nr.1-Hit konnte die Band 1978 mit „Dreadlock Holiday“ feiern. Die Dame neben mir singt weiter: „I don’t like Jamaica!“

Viele Songs der Band laufen heute auf Oldie-Radiosendern wie zum Beispiel „I’m not in love“, zu dem sich das Publikum umarmt und hier und da auch züngelt. Aber warum kennt fast jeder Queen, Elton John und David Bowie – und viel weniger Leute 10cc? Im Gegensatz zu den genannten Superstars, so ist auf ihrer Website zu lesen, „konzentriert sich die Energie von 10cc nicht auf Image oder Celebrity-Status, sondern auf die Kreation anspruchsvoller Rock-Meisterwerke mit Mainstream-Appeal.“ Aha.

Schaut man genauer auf die Bühne, sieht man von der Originalbesetzung nur Graham Gouldman. Es gab Zankereien, in welche Richtung sich die Band entwickeln soll. Zunächst verließen Kevin Godley und Lol Creme die Band, sie wollten experimentellere Musik machen, später ging auch Eric Steward. Auch wenn nur ein Viertel von 10cc auf der Bühne steht, ist die Lücke bei Weitem nicht so groß wie etwa im Fall von Queen, die heute ohne Freddie Mercury spielen müssen. Die jetzigen 10cc-Musiker spielen auf den Punkt. Es ist schön, wenn sie das fast prophetische „Old White Men“ singen, das die Band bereits 1973 komponiert hat.

Ortswechsel, Konzert in der Köpi. Es spielen zwei Hardcore-Bands aus Georgien, Skazz und Butaforia, sowie die Berliner Band ASG, was laut Sänger sowohl Achsel stinkt gewaltig als auch Abgestandenes Senfgas bedeuten könnte. Der Saal ist sehr gut gefüllt, die Verstärker voll aufgedreht, das Publikum gemischt, zwischen 20 und 50 Jahre alt. Punks mit Iro, Hipster mit Wollmütze, viele Normalo-Linke in Schwarz, aber hier und da auch Glitzer. An der Rückwand der Bühne steht: Köpi is not Berlin. Das stimmt, das helle 0,5-Liter-Bier der Hasen-Brauerei aus Augsburg kostet hier 2,50 Euro.

Skazz spielen ein sehr gutes und hartes Konzert, präzise und brachial. Danach spielen die Berliner ASG, auch bekannt als Der Feind. Manche Lieder sind so lang wie ihre Ansagen, etwa 45 Sekunden. Es geht um Terror, steigende Mieten, Panzer, NPD, Feinde, Bomben, den Tod und die Scorpions.

Punks mit Iro, Hipster mit Wollmütze, viele Normalo-Linke in Schwarz, aber hier und da auch Glitzer beim Konzert in der Köpi

Der Schlagzeuger prügelt auf die Felle ein, der Sänger schreit sich die Seele aus dem Leib. Es ist heiß im Raum. Der Gitarrist hat damit gerechnet und sein Camouflage-Shirt um die Brustwarzen herum sorgfältig mit großzügigen Löchern versehen für die frische Brise. Der Sänger schüttet sich zur Erfrischung mehrmals Bier über den Kopf. Auch das ist ein tolles Konzert.

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