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KURZKRITIK: BENNO SCHIRRMEISTER ÜBERS GASTSPIEL DES MONATSTräume aus der Südsee

Genial ausgelassen, oft schreiend komisch und mit klug unplakativen Schocks erzählt Stéphane Bittouns Frankfurter Performance-Ensemble in der Schwankhalle eine wahre Geschichte, die zugleich ein Südseemärchen ist: „Nackt unter Kokosnüssen“, das Gastspiel des Monats widmet sich der Geschichte des August Engelhardt, der 1902 aus Nürnberg auf die Insel Kabakon übersiedelte.

Dessen Biografie ist, neben dem Schicksal der Insel Nauru, der zweite Südsee-Topos der deutschen Literatur- und Theaterszene geworden, seit Hermann Hiery 2002 seinen historischen Überblick über jenes Kapitel des Kolonialismus vorgelegt hat: Zwei Romane, „Das Paradies des August Engelhardt“ von Marc Buhl und Christian Krachts „Imperium“, erzählen bereits über jenen Aussteiger und Guru, der seinen Jüngern das Leben von nichts außer Nudismus und Sonne auferlegte – und von Kokosnüssen. Diese strenge Spielart des Fruktivorismus hätte Engelhardt laut Bittoun entwickelt, weil er von Mango Bauchweh bekam – eine plausible Deutung seiner überlieferten Predigten des „reinen Kokovorismus“ als der Vereinigung „mit Gott“.

Diese wahre, aber unglaubliche Geschichte collagiert Bittoun witzig mit Zitaten aus dem Erotik-Drama „Die blaue Lagune“ oder dem Schmachtfetzen „Der rote Korsar“ sowie Motiven des Romans „Schiffbruch mit Tiger“ von Yann Martell zu einer Expedition ins Schwellengebiet zwischen Fiktion und Wirklichkeit: Ein Fest der Fantasie, bei dem aus Turngeräten – Sprungbretter, Kästen, Kletterseilen – Dampfer, Urwald und Plantagen werden, und eine künstliche Regenwand als Projektionsfläche dient. Nur ganz zum Schluss kippt dieses bunte Kaleidoskop der Sehnsucht und der Utopien in die allzu didaktische Frage, ob unsere künstlichen Paradiese nicht doch nur genau dazu dienen, unser Grauen zu verdrängen.

„Nackt unter Kokosnüssen“, Schwankhalle, Sa, 20 Uhr

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