Man möchte ihm eine kleben

Der Dokumentarfilm „Vermeer – Reise ins Licht“ geht anrührend der Leidenschaft von Museumskuratoren nach

Gemäldekonservatorinnen Anna Krekeler und Abbie Vandivere mit Vermeers „Das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge “ Foto: Neue Visionen

Von Jenni Zylka

Dokumentarfilme über Kunst sind wie abgedruckte Bilder von Gemälden: Sie spielen über Bande. Das Erlebnis, ein Bild tatsächlich im Raum zu erfahren, die Oberfläche zu sehen, den – bei Ölbildern – Firnis zu untersuchen, den eigenen Körper zum Bild zu stellen und mit dem Lichteinfall zu spielen, ist nur vor Ort möglich.

Einen Vermeer abzufilmen, geht darum schon mal gar nicht: Wie detailgetreu der enigmatische niederländische Maler einst arbeitete, wie hintergründig seine Motive komponiert sind, das lässt sich in der gesamten Pracht kaum wiedergeben.

Mit „Vermeer – Reise ins Licht“ ist dennoch (nach diversen Spielfilmen) ein Dokumentarfilm zur Arbeit Vermeers erschienen. Vielleicht aus genanntem Respekt vor der Kunst versucht die Regisseurin Suzanne Raes jedoch nicht, die Biografie des Mannes aus dem 17. Jahrhunderts zu ergründen, über den nur wenige Fakten als nachgewiesen gelten, oder einfach Bilder abzufilmen. Stattdessen erzählt sie von der bis Juni 2023 im Amsterdamer Rijksmuseum gelaufenen größten Ausstellung mit Vermeer-Gemälden, die es je gegeben hat – und von den Menschen, die versuchen, sie auf die Beine zu stellen.

Amsterdams langjähriger Kurator Gregor Weber, der kurz vor der Pensionierung steht, organisiert jene Show als letzte Amtshandlung – und fährt bei der Suche nach willigen Bildverleihern um die Welt. Der charismatisch-greise Herr, der schon als Kind von Vermeer bezaubert war, entpuppt sich als Vermeer-Ultra, dem die Stimme stockt, wenn er von den Bildern spricht: „Als Schuljunge bin ich ohnmächtig geworden, als ich die ersten Vermeers sah“.

Mit ihm besucht man Museen in Den Haag, Frankfurt, Dublin, Washington und Berlin, wird Zeuge, wie manche Be­sit­ze­r:in­nen absagen, aber am Ende immerhin 28 zusagen. Man ist dabei, wenn Re­stau­ra­to­r:in­nen mit behandschuhten Händen liebevoll und vorsichtig Leinwände glattstreichen, und schaut ihnen über die Schulter, auf den Lichteinfall etwa beim „Mädchen mit dem Perlenohrgehänge“, und versteckte, eventuell später übermalte Entdeckungen.

Die Theorie, Vermeer habe für seine außergewöhnlich weichen Konturen, Effekte und Schattenspiele eine Camera obscura benutzt, die er in einer Jesuitenmission in der Nähe seines Wohnorts in Delft kennen- und nutzen lernte, bringt Weber auf. Sogar eine mögliche Fälschung wird Thema: Ist das berühmte „Mädchen mit der Flöte“ aus Washington etwa kein echtes Werk des Künstlers, wie es US-amerikanische Ex­per­t:in­nen behaupten? Die Niederländer sind empört.

Ein privater Vermeer-Besitzer dagegen, ein US-Millionär, der das Bild als Leihgabe beim Kauf eines anderen Meisters noch „mitnahm“, wie er den um Fassung ringenden Vermeer-Jägern fröhlich erzählt, lässt sein Bild fast fallen – da ist man bereits so fasziniert und angerührt von der Faszination und Rührung der Protagonisten, und den Bildern als solchen, dass man ihm am liebsten eine kleben möchte. So gelingt es „Reise ins Licht“, trotz der kuratorisch-analytischen Rahmenhandlung, eine emotionale Nähe zwischen Kinopublikum und Bildern herzustellen – unabhängig vom Kunstgeschmack.

Zwar werden bei der Deutung der Bilder von den Ex­per­t:in­nen eher technische und kunsthistorische als gesellschaftliche Aspekte beleuchtet – welche Farbpigmente gab es wann, wo war der Maler bei der Erstellung? Dass auch Vermeer sich nicht zufällig vor allem junge Mädchen als Models aussuchte, gehört zumindest als Gedanken in jeden modernen Kunstdiskurs.

Doch am Ende hat man anderthalb Stunden lang im Licht geschwelgt, unfassbar beeindruckende Kunst (wieder)entdeckt und angeschmachtet. Und Weber bleibt eh nicht der einzige Mensch im Film, dem vor Leidenschaft für seinen Lieblingspinsler die Tränen kommen.

„Vermeer – Reise ins Licht“. Regie: Suzanne Raes. Niederlande 2023, 79 Min.