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Billiger Strom? Ja, aber …

Energy Sharing: Der günstige Ökostrom für den Haushalt kommt nicht ohne Förderung aus. Das derzeit stark propagierte Modell ist kompliziert – und es könnte schon bald vom Strommarkt überrollt werden

Energy Sharing mit Windkraftanlagen? Prinzipiell machbar, aber in der Praxis dürfte es ein paar Haken geben Foto: Patrick Pleul/dpa/picture alliance

Von Bernward Janzing

Der billigste Strom im Haushalt ist jener vom eigenen Dach: Solarstrom, der im Moment der Erzeugung unmittelbar genutzt wird, ist durch den massiven Preisverfall der Solartechnik unschlagbar günstig geworden. Doch diesen Preisvorteil kann nur nutzen, wer den Strom ohne Umweg über das öffentliche Netz bezieht.

Um auch jenen Bürgern, die über kein nutzbares eigenes Dach verfügen, die Möglichkeit zu eröffnen, günstigen Ökostrom zu beziehen, soll es künftig das sogenannte Energy Sharing geben. Das heißt: Erzeuger von Strom aus erneuerbaren Energien sollen in die Lage versetzt werden, Überschussstrom auf einfachem Weg über das öffentliche Netz an Verbraucher zu liefern. Häufig genanntes Ziel der Aktion: Haushalte zu animieren – wo immer praktikabel – einen Teil ihres Stromverbrauchs in jene Zeiten zu verlegen, in denen viel Strom aus erneuerbaren Quellen im regionalen Netz vorhanden ist. Besonders bei Bezug größerer Strommengen, wie etwa zum Laden von Batteriefahrzeugen, kann solch eine zeitliche Verlagerung preislich attraktiv sein.

Der Optimismus von einigen Marktbeobachtern ist enorm. Das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) kam im Mai 2022 in einer Studie zu dem Ergebnis, dass etwa 35 Prozent des von der Bundesregierung geplanten Ausbauziels der Erneuerbaren bis 2030 durch Projekte gedeckt werden könne, die mit dem Fokus Energy Sharing errichtet werden. Das entspreche einem Anlagenzubau (Wind und Solar) von 75 Gigawatt.

Auch auf europäischer Ebene wird diskutiert, den Verkauf von Strom aus Solar- und Windkraftanlagen zu erleichtern. Eine grundsätzliche Entscheidung dieser Art hat der Industrieausschuss des EU-Parlaments kürzlich schon gefällt. Michael Bloss, EU-Parlamentarier der Grünen, sagt, man werde „transparente, vereinfachte Vertragsabschlüsse beim Produzieren, Speichern und Teilen von erneuerbarem Strom“ schaffen. Zugleich müsse „unnötige Bürokratie“ vermieden werden.

Das aber ist genau das Problem, denn in der Praxis bringt das Modell für die Energiewirtschaft deutlichen Mehraufwand: Während im Privathaus der Eigenverbrauch vor dem Stromzähler stattfindet und daher keine zusätzliche Technik und Abrechnungsverfahren erfordert, ist das bei einem räumlich von der Erzeugung getrennten Verbrauch anders: Sowohl die Erzeugung, wie auch der Verbrauch müssen dann nämlich viertelstündlich erfasst werden – das ist der Takt des Stromhandels. Denn nur wenn Erzeugung und Verbrauch in diesem Raster zeitgleich erfolgen, kann man wirklich von Energy Sharing sprechen.

Unterdessen hat sich in der Debatte der Begriff aus Gründen der Praktikabilität bereits eingeengt. Wenn früher von Energy Sharing die Rede war, ging es auch darum, dass selbst Betreiber kleiner Hausdach-PV-Anlagen in die Lage versetzt werden sollten, ihren Überschussstrom einfach und billig an einen Nachbarn zu verkaufen. Doch solche kleinteiligen Modelle spielen in der aktuellen Diskussion kaum noch eine Rolle. Es geht nunmehr alleine um Strom aus Gemeinschaftsanlagen, der von einem Stromversorger aufgenommen und an die Teilhaber der betreffenden Anlage verkauft wird. Dass man nicht mehr allzu kleinteilig denkt, liegt auch daran, dass es ohne einen Stromversorger als zwischengeschalteten Vermittler nach weitgehend einhelliger Meinung der Energiewirtschaft nicht geht, denn ein Versorger muss die Strommengen aller beteiligten Akteure auch im zeitlichen Verlauf bilanzieren.

Energy Sharing bedeutet also Aufwand – und deswegen kann der theoretisch so billige Strom aus Erneuerbaren am Ende nur durch zusätzliche Förderung in fremde Häuser gelangen. Zum Ausgleich der „energiewirtschaftlichen Aufwände“ schlagen der Ökostromversorger Green Planet Energy und weitere Branchenakteure und Verbände eine Prämie aus Steuermitteln vor. Kunden, die am Energy Sharing teilnehmen, müssten eine Förderung in Höhe von 2,8 Cent pro Kilowattstunde für Strom aus Windkraft, beziehungsweise 4,9 Cent für Solarstrom bekommen.

Diesen Zuschuss soll es aber nur für Verbraucher in direkter Umgebung der jeweiligen Erzeugungsanlage geben. Damit soll ein Anreiz geschaffen werden, den Strom jeweils vor Ort zu verbrauchen, um die Netze zu entlasten. Manche in der Energiebranche propagieren einen 25-Kilometer-Umkreis, andere schlagen 50 Kilometer vor.

In der EU wird diskutiert, den Verkauf von Solar- und Windstrom zu erleichtern

Malte Zieher vom Bündnis Bürgerenergie fordert das Bundeswirtschaftsministerium auf, nun ein Gesetz zur Einführung von Energy Sharing vorzulegen. Es müsse „ein regulatorischer Rahmen geschaffen werden, damit Mitglieder von bestehenden und neuen Bürgerenergiegesellschaften wirtschaftlich den gemeinsam erzeugten Strom nutzen können“.

Doch so laut die Rufe nach Energy Sharing aktuell werden – die Zeit dieses Konzepts könnte schneller ablaufen, als es mancher Branchenbeobachter vermutet. Ausgerechnet die großflächige Installation von Smart Metern, also jener Zähler, die den Verbrauch viertelstündlich erfassen, könnte das Ende der Energy-Sharing-Modelle besiegeln.

Denn für Kunden mit moderner Messeinrichtung dürften in Zukunft variable Stromtarife angeboten werden. Das sind solche, die die Preisschwankungen am Spotmarkt an die Verbraucher durchreichen. Diese Preise sind längst erheblich geprägt vom Stromangebot der Erneuerbaren. Die Folge: Scheint die pralle Sonne, bekommen die Kunden günstigen Strom, weil in diesem Moment der Preis an der Strombörse niedrig ist. Dafür brauchen sie dann nicht einmal mehr Teilnehmer eines Energy-Sharing-Projektes zu sein. Und erst recht benötigen sie keine zusätzliche Förderung. So könnten die Marktmechanismen das derzeit so sehr propagierte Konzept Energy Sharing schon bald überrollen.