50 Jahre Filme für die Gegenöffentlichkeit

Seit 1973 drehen und zeigen die Mitglieder des Hamburger Medienpädagogik-Zentrums Filme und archivieren Videos. Zum Jubiläum ist eine Dokumentation über einen Demeter-Bauernhof zu sehen

Biologisch-dynamisch schon seit den 1950er-Jahren: Dieter Scharmer Foto: Ulrike Gay/mpz

Von Wilfried Hippen

Die Luft, die wir atmen, könne man ja auch nicht privatisieren, sagt der Erbhofbauer Dieter Scharmer im Film „Für die Zukunft leben – Margret und Dieter Scharmer auf Hof Dannwisch“. Dasselbe Prinzip wendet er auch auf Grund und Boden an. 1986 übereignete er den Hof, der seit dem 17. Jahrhundert in Familienbesitz war, einem gemeinnützigen Verein.

1957 stellte Scharmer zusammen mit seiner Frau Margret den Hof auf eine biologisch-dynamische Wirtschaftsweise um. Damit gehörten sie damals zur bäuerlichen Avantgarde. Schnell wurde es einsam um die beiden, denn die Nachbarn konnte mit dem „neumodischen Kram“ nichts anfangen. Im Film erzählen sie, wie sie sich in den ersten Jahren abmühen mussten, wie sie schlechte Ernten wegsteckten und langsam aus Fehlern lernten. Viele misslungene Käseexperimente ­mussten zum Beispiel an die ­Hühner ­verfüttert werden.

2009 drehte Ulrike Gay den 82-minütigen Dokumentarfilm für den Verein Medienpädagogik-Zentrum Hamburg (MPZ). Dass er jetzt einmal im Metropolis, also von einem Kino auf der großen Leinwand gezeigt wird, ist ungewöhnlich: Das MPZ produziert Video­filme nicht fürs Kino, sondern für die alternative politische Arbeit. Zu sehen ist der Film sonst nur auf Veranstaltungen zur politischen Weiterbildung – und regelmäßig auf dem Gutshof Dannwisch. Anlass ist das 50-jährige Jubiläum des MPZ, im Rahmen dessen an verschiedenen Orten in der Stadt Veranstaltungen stattfinden.

1973 gegründet, wird das Zentrum auch heute noch ohne jede öffentliche Förderung ehrenamtlich betrieben. Schon damals ging es den Vereinsmitgliedern darum, durch Filme eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Im Archiv des Zentrums lagern über 1.500 Filme und Videos. Auch heute noch werden eigene Filme wie das 58 Minuten lange Video „Über den Geschäften – Wohnen in der Königstraße Elmshorn“ gedreht. Das MPZ betreibt eine umfassende und vorbildlich gestaltete Homepage. Aber wenn dort auf der ersten Seite ein Motto wie: „Wo Fernsehen aufhört, fängt Video an“ auftaucht, wird auch deutlich, dass das MPZ noch nicht wirklich im digitalen Zeitalter angekommen ist.

Minimalistische Lehrfilme

Und so war auch Ulrike Gay nicht an Filmkunst interessiert, als sie diesen und viele andere Filme drehte. Es sind Lehrfilme, bei denen es nicht um Stilfragen geht, sondern darum, Informationen möglichst detailreich und konkret zu vermitteln. Und da die Filme von ehrenamtlichen Vereinsmitgliedern ohne Budget produziert werden, sind sie minimalistisch konzipiert.

In „Für die Zukunft leben“sieht und hört man vor allem Margret und Dieter Scharmer dabei zu, wie sie ihre Lebensgeschichte erzählen. Es gibt ein paar „Nebendarsteller“ wie einen Bauern aus der Nachbarschaft, einen „enterbten“ Sohn und den Leiter der genossenschaftlich organisierten GLS Bank, Albert Fink. Aber über mehr als die Hälfte des Films sieht man Margret und Dieter Scharmer in den immer gleichen halbnahen Einstellungen als Talking Heads. Für eine optische Auflockerung und ein wenig Action sorgen nur Ausschnitte aus den Super-8-Filmen von Harry Lambertsen, der als Chronist des Hofes immer dann mit der Kamera dabei war, wenn etwas passierte oder passiert war. Zweimal brannte es auf dem Hof, das alte Bauernhaus der Familie und Scheunen brannten ab. 1992 gab es einen Tag der offenen Tür, bei dem zur Klampfe ein Lied gesungen wurde: „Möhren für die Gören und Gurken für die Schurken“.

Als Film für ein Publikum, das sich über eine Alternative zur profitorientierten Landwirtschaft informieren will, ist „Für die Zukunft leben – Margret und Dieter Scharmer auf Hof Dannwisch“ solide produziert. Nur beim Interview mit Bankdirektor Albert Fink sieht man ein wackeliges Mikro, mit dem nervös nach dem Ton geangelt wird. „Wir waren froh, dass er überhaupt ein wenig Zeit für uns hatte“, sagt Ulrike Gay zur taz.

„Für die Zukunft leben“, Regie: Ulrike Gay, Deutschland 2009, 82 Minuten; heute, 19 Uhr, Metropolis, Hamburg, mit (Ulrike Gay und Dieter Scharmer); Infos zum MPZ: mpz-hamburg.de