Generationswechsel im Schach: Insel der Jugend
Vincent Keymer gehört zu den jungen Schachspielern, denen Großes zugetraut wird. Er und seine Kollegen sollen die Generation Carlsen ablösen.
Die Generalprobe hätte besser laufen können. Mit seinem Bundesligateam OSG Baden-Baden erreichte Deutschlands bester Schachspieler Vincent Keymer bloß ein Unentschieden gegen den Hamburger SK. Bei dem enttäuschenden 4:4 kam der 18-Jährige nicht über ein Remis gegen Frederik Svane hinaus.
Ob sich die beiden Nationalmannschaftskollegen nach ihrer Partie gemeinsam in den Flieger auf die Isle of Man gesetzt haben, ist zwar nicht überliefert, wäre aber naheliegend. Schließlich beginnt auf der autonomen Insel in der Irischen See am Mittwoch eines der wichtigsten Turniere des Schachjahres.
Zum zweiten Mal nach 2019 lädt der Schachweltverband Fide mit freundlicher Unterstützung des israelisch-kanadischen Milliardärs Mark Scheinberg für zwei Wochen in die Hauptstadt Douglas zum Fide Grand Swiss. 2021 hatte das Turnier wegen der Pandemie in Riga stattgefunden.
Zu gewinnen gibt es neben umgerechnet rund 75.000 Euro für den Sieger zwei Plätze für das WM-Kandidatenturnier 2024, bei dem der Gegner für Titelverteidiger Ding Liren ausgespielt wird. Weil Fabiano Caruana und Rameshbabu Praggnanandhaa, kurz Pragg, bereits qualifiziert sind, könnte schon der dritte oder der vierte Platz fürs Kandidatenturnier reichen.
Seit Keymer Schachprofi ist, geht's stetig bergauf
Keymer, die Nummer 12 der Setzliste in einem herausragenden Teilnehmerfeld, werden zwar eher Außenseiterchancen eingeräumt. Wirklich überrascht wären aber wohl die wenigsten über eine Spitzenplatzierung. Seit Keymers Entscheidung, nach dem Abitur Schachspieler von Beruf zu werden, geht es für die aktuelle Nummer 25 der Weltrangliste stetig bergauf.
Mit den Topspielern kann er inzwischen locker mithalten. Und es wäre nicht der erste Erfolg Keymers auf großer Bühne. Vor zehn Monaten wurde er Vizeweltmeister im Schnellschach – hinter Magnus Carlsen, der beim Grand Swiss nicht teilnehmen wird. Der beste Spieler seiner Generation hat bekanntermaßen keine Lust mehr auf klassisches Schach.
Selbiges wurde auch Alireza Firouzja in den letzten Jahren hin und wieder nachgesagt, weil der im Iran geborene Franzose aus seinem Spaß am Modedesign kein Geheimnis macht und die Szene vor allem online im Schnell- und Blitzschach dominiert.
Eine neue Ära im Schach
Doch auch am Brett und mit langer Bedenkzeit sollte der 20-Jährige über jeden Zweifel erhaben sein. Vor zwei Jahren gewann er den Grand Swiss und war anschließend der jüngste Teilnehmer des WM-Kandidatenturniers im vergangenen Sommer.
Dort gewann er in 14 Runden zwar nur zwei Partien, könnte aber trotzdem eine neue Ära eingeläutet haben. Denn für viele Expert:innen gilt als gesichert, dass es die Generation um Firouzja und den 17-jährigen Pragg sein wird, die endlich jene um Carlsen, Caruana und Weltmeister Ding ablösen wird, die bisher noch die Kämpfe um den WM-Titel untereinander ausmacht.
Neben Firouzja, Jahrgang 2003 und zwischenzeitlich schon mal die Nummer zwei der Welt, und Pragg (2005), der für das kommende Kandidatenturnier bereits qualifiziert ist, gibt es noch vier weitere Toptalente in den aktuellen Top 30 der Welt, denen Großes zugetraut wird: Dommaraju Gukesh (2006) und Arjun Erigaisi (2003) aus Indien, Nodirbek Abdusattorov (2004) aus Usbekistan – und Vincent Keymer (2004) aus Saulheim.
Wer aus dieser exklusiven Gruppe der Talentierteste ist, darüber ändert die Schachwelt ihre Meinung gerne tagesaktuell. Umso mehr freut sie sich darüber, dass bei dem Weltklasseturnier in der Irischen See alle sechs am Brett sitzen werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!