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WM-Sieger im SchachGefesselte Unsterblichkeit

Ding Liren ist der erste männliche Schachweltmeister aus China. Das Spiel ging in die Verlängerung und der 30-Jährige bewies die besseren Nerven.

„Es war ein schwieriges Turnier für mich“: Ding Liren (l.) siegt dennoch Foto: Vladislav Vodnev

Das Drama ging in die Verlängerung – und wieder bewies Ding Liren die besseren Nerven. Der 30-Jährige begab sich auf die Spuren all der Chinesinnen, die seit Jahren die Frauen-WM dominieren und ist nun der erste männliche Schach-Weltmeister aus dem Reich der Mitte. Nach spannendem Verlauf mit vielen Aufs und Abs setzte sich Ding in dem mit zwei Millionen Euro dotierte Zweikampf gegen den Russen Jan Nepomnjaschtschi im Tiebreak durch.

Im kasachischen Astana mussten nach einem 7:7 vier Schnellschachpartien mit verkürzter Bedenkzeit die Entscheidung bringen: Nach drei Remis, in der „Nepo“ mit einem Damen­opfer etwas Glanz versprühte, fiel nach viereinhalb Stunden die Entscheidung für den Chinesen, obwohl es für den Weltranglistenzweiten aus Russland schier „unvorstellbar“ war, dass er die Stellung verlieren hätte können. Der Russe patzte aber bei beiderseitig knapper Bedenkzeit einmal mehr. Er verpasste ein Läuferopfer, das ihm ein Dauerschach mit der verbliebenen Dame zum 2:2 beschert hätte.

Danach wäre der WM-Titel erstmals in Blitzpartien mit nur fünf Minuten Bedenkzeit (plus drei Sekunden Bonus pro ausgeführtem Zug) entschieden worden. Nepom­njaschtschi gab im 68. Zug auf und haderte danach zurecht mit seinem Schicksal. Dreimal war der 32-Jährige in Führung gegangen, dreimal ließ er Ding bis zum 7:7 ausgleichen. „Ich denke, ich hatte alle Chancen, so viele vielversprechende Stellungen. Aber es ist eben nach 14 Partien immer eine Lotterie“, befand der nun zweifache Vizeweltmeister mit Blick auf die Schnellschachpartien, bei der die Nerven noch mehr flattern.

Die hatte Ding besser im Griff. Das sah auch sein Vorgänger so: Magnus Carlsen, der die Finalteilnahme des Chinesen erst durch seinen freiwilligen Rücktritt nach zehn Jahren Regentschaft auf dem WM-Thron möglich machte, pries den Mut seines Nachfolgers. Der Norweger schien dabei zunächst kein Interesse an dem WM-Match zu haben: Demonstrativ zeigte sich der souveräne Weltranglistenerste den Schachfans während des Zweikampfs bei einem Pokerturnier! Das bestärkte seine Anhänger, die Sichtweise des abgetretenen Weltmeisters zu teilen: „Schach ist Magnus Carlsen!“, unterstrich Wladimir Kramnik, Champion von 2000 bis 2007.

Schockierendes Drama

Der von ihm entthronte Garri Kasparow, Titelträger von 1985 bis 2000, sprach gar von einer „amputierten Weltmeisterschaft“ ohne den langjährigen Dominator. Immerhin erfüllte sich die Hoffnung von Kasparow, dass der Weltranglistenzweite und -dritte eine „tolle Show“ bieten. Sie war nicht so klinisch rein und korrekt wie von Carlsen, der beim letzten WM-Match 2021 „Nepo“ vorgeführt hatte, man sah ein schockierendes Drama mit einem glücklichen Sieger.

Am Ende konnte selbst Carlsen nicht anders und verfolgte den Tiebreak. Sein Kommentar lässt nur diesen Schluss zu, bezieht er sich doch auf den wichtigsten Zug der vierten Schnellschachpartie. Um einem Dauerschach auszuweichen zu können, stellte Ding mutig seinen Turm in eine Fesselung, kämpfte so weiter und gewann nach weiteren verpassten Gelegenheiten seines Kontrahenten im 68. Zug. Carlsen lobte den Chinesen: „Sich für die Unsterblichkeit fesseln zu lassen! Gratulation Ding!“

Der Chinese geht als 17. Weltmeister im Schach in die Historie seit 1886 ein. Der abgedankte König aus Norwegen, der keine Motivation für ein sechstes WM-Match mehr besaß, bleibt Weltmeister im Schnell- und Blitzschach. Kasparow hofft, dass durch die neue Situation „mehr Aufregung“ entsteht, weil nun plötzlich der „Weltmeister und der beste Spieler der Welt“ in einem Turnier aufeinander prallen.

Ding Liren macht sich darüber vorerst keine Gedanken. Als die Achterbahnfahrt mit nachträglicher Qualifikation als Zweiter des Kandidatenturniers und dem Tiebreak-Sieg in Kasachstan endete, übermannten den sonst so ruhigen Chinesen die Gefühle: „Als Jan aufgab, war es sehr emotional für mich. Ich konnte meine Stimmung nicht kontrollieren. Ich kenne mich selbst – ich werde weinen und in Tränen ausbrechen“, gestand Ding Liren. Dem Verlierer wünschen die Fans derweil, dass er das Fiasko so verarbeitet, wie es sein Name verheißt: Nepomnjaschtschi heißt im Russischen „Der, der sich nicht erinnern kann.“

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1 Kommentar

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  • Spektakel ist schön – auch beim Schach, ähnlich dem Elfmeterschießen nach einer Verlängerung beim Fußball. Wer schon mal Schnell- oder Blitzschach gespielt hat, kennt die Grausamkeiten die sich ergeben können, vom erhöhten Adrenalinspiegel ganz zu schweigen.

    Die verkürzte Bedenkzeit begrüße ich, ich kenne das noch anders, wenn nach Ablauf der regulären Bedenkzeit, durchaus nach fünf Stunden, die Partie abgebrochen wurde und es eine sogenannte Hängepartie gab, die zu einem festgelegten Zeitpunkt fortgesetzt wurde.