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: „Ein gefährlich unpolitischer Mensch“

Der Braunschweiger Museumschef Karl Steinacker rettete 1924 eine Synagoge. Dabei war er Antisemit

Interview Petra Schellen

taz: Frau Weihmann, wer war Karl Steinacker?

Susanne Weihman: Der Kunsthistoriker Karl Steinacker (1872–1944) war erster hauptamtlicher Direktor des „Vaterländischen Museums“, des Vorläufers des heutigen Landesmuseums Braunschweig. Heute ist er durch die Rettung der Hornburger Synagoge bekannt.

Wie kam es dazu?

Nachdem 1923 die letzte Hornburger Jüdin verstorben war, verkaufte die Eignerin, die Synagogengemeinde Halberstadt, das Gebäude zwecks Abrisses nach Hornburg. Steinacker erfuhr davon, sammelte – vor allem bei Braunschweiger Jüdinnen und Juden – Geld, ließ die barocke Inneneinrichtung nach Braunschweig bringen und als Teil des Museums wieder aufbauen. Er sagte, sie interessiere ihn als „Geschichtsdenkmal“. Bis heute ist das in Norddeutschland einzigartige Exponat Kernstück der jüdischen Abteilung des Landesmuseums.

Dabei war Steinacker Antisemit. Wie stießen Sie darauf?

Im Laufe meiner Recherchen stieß ich im Braunschweiger Stadtarchiv auf seine zwischen 1939 und 1942 verfassten Tagebücher. Sie enthalten antisemitische Äußerungen über Menschen, denen er während seiner Ausbildung begegnete.

Zum Beispiel?

Über den jüdischen Kunsthistoriker Richard Stettiner, einen Kollegen seines Volontariats im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe, schreibt er: „Er war ein blonder, schmächtiger Jude von vielen Kenntnissen und wenig Aktivität. Im Grunde gutmütig und ohne Arg, besaß er ein unsicheres, vorsichtiges Auftreten, das zu seinem Nachteil den Eindruck eines lauernden Schleichers erweckte, sodass er niemandem sympathisch war.“ Das schreibt er 1942, als in Braunschweig die Deportationen begannen. Über Museumsdirektor Justus Brinckmann äußert er: „Hatte doch auch Brinckmann mütterlicherseits jüdischen Blutzusatz – seiner Gestalt war das anzumerken, dagegen nicht seinem Wesen.“

Foto: privat

Susanne Weihmann70, Regionalhistorikerin, forscht zu jüdischem Leben.

Erwähnt er die Zerstörung der Braunschweiger Synagoge in der Pogromnacht 1938 und die Deportationen?

Nein. Auch nicht, wie es den Unterstützern des Hornburger Synagogenprojekts erging. Selbst über seinen jüdischen Vermieter schweigt er.

Wie war Steinackers Verhältnis zum NS-Regime?

Er war kein Nazi. Er war vielmehr ein gefährlich unpolitischer Mensch, noch durchdrungen vom gängigen Alltagsantisemitismus der Kaiserzeit. Er schreibt, er lebe in einer „durch Jahrzehnte andauernden Revolutionsepoche“. Er unterscheidet überhaupt nicht zwischen den Systemen.

Hat er sich dem NS-Staat angedient?

Nicht explizit. Aber er fühlte sich dem NS-Funktionär Dietrich Klagges, Ministerpräsident des damaligen Freistaats Braunschweig, tief verbunden. Als Steinacker 1942 die Goethe-Medaille bekam, eine hohe Ehrung des NS-Staates, dankte er Klagges mit einem euphorischen Brief und unterzeichnete „Ihr mit Heil Hitler ganz ergebener Karl Steinacker.“

Vortrag „Karl Steinacker, die Hornburger Synagoge und die Juden“: 19. 10., 19 Uhr, Gedenkstätte KZ-Außenlager Schillstraße, Braunschweig

Wie stand er zu seinem Nachfolger, dem NSDAP-Mitglied Johannes Dürkop?

Er schätzte ihn. Dass Dürkop die Hornburger Synagoge im Museum nun als „Fremdkörper in der deutschen Kultur“ präsentierte beschrieb Steinacker als „Nutzungswandel“.

Steinacker ist in Braunschweig angesehen, eine Straße trägt seinen Namen. Warum war all dies nicht bekannt?

Die Quelle ist jedenfalls zugänglich. Historiker haben schon daraus zitiert, aber die antisemitischen Passagen wurden übersehen. In der Tat ist der Text mühsam zu bearbeiten. Es sind 609 handschriftliche Blätter.