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: „Es geht um die Abkehr vom Opfer-Narrativ“

Eine Shoah-Doku, die vieles richtig macht: „Endlich Tacheles“ ist heute in Göttingen zu sehen

Interview Wilfried Hippen

taz: Herr Doerfer, worum geht es in dem Dokumentarfilm „Endlich Tacheles“?

Achim Doerfer: Der Protagonist ist ein junger Jude, dessen Familie ursprünglich aus Krakau stammt und nach Israel ausgewandert ist. Er will ein Computerspiel entwickeln, das sich mit seiner Familiengeschichte befasst. Dabei arbeitet er mit einem Kollegen zusammen, der aus einer Familie mit NS-Vergangenheit kommt.

Sie werden bei der Vorführung heute in Göttingen nicht nur in den Film einführen, sondern er wird überhaupt erst auf Ihre Anregung hin gezeigt. Warum ist Ihnen dieser Film so wichtig?

Ich habe im vergangenen Jahr ein Buch über den jüdischen Widerstand und jüdische Rache veröffentlicht …

… „Irgendjemand musste die Täter ja bestrafen. Die Rache der Juden, das Versagen der deutschen Justiz nach 1945 und das Märchen deutsch-jüdischer Versöhnung“.

Mir geht es um die Abkehr von dem vorherrschenden Opfer-Narrativ und darum, dass Überlebende des Holocaust und ihre jüdischen Nachfahren sich selbst der Erinnerungskultur bemächtigen, die ja in Deutschland sehr offiziös und von der Mehrheitskultur geprägt ist. Dies ist nun ein Film, der sehr subjektiv aus einer jüdischen Perspektive heraus erzählt wird. Durch den Protagonisten bekommt er eine Inneneinsicht auf die Shoah, denn er muss schwierige Gespräche mit seiner Familie führen, weil das Spiel ja auf deren Geschichte basieren soll.

Foto: Katrin Raabe

Achim Doerfer *1965, ist promovierter Rechtsphilosoph und Rechtsanwalt. Er schreibt Sachbücher und ist Vorstands­mitglied der Jüdischen Gemeinde Göttingen sowie des Landes­verbandes der Israelitischen Kultus­gemeinden.

Sie selbst sind der Sohn einer Überlebenden. Erkennen Sie sich in diesem Film wieder?

Mich hat das sehr angesprochen, weil es bei diesen Familiengesprächen eine Vielschichtigkeit gibt, die ich auch vom meinem Umgang mit meiner Familiengeschichte kenne. Da gibt es in vielen Dingen große Ähnlichkeiten. Ich finde mich als Nachfahre von Shoah-Überlebenden da sehr gut wieder.

Können Sie dafür ein Beispiel geben?

Im Film gibt es eine Großmutter, die im Holocaust ihren ganz kleinen Bruder verloren hat, und es geht darum, ob sie ihn bis zur letzten Minute hätte beschützen können. Und nun stellt sich heraus, dass das, was sie all die Jahren lang erzählt hat, so nicht stimmen kann. Das sind Momente, die ich selber wahnsinnig genau kenne.

Und das Kino ist für Sie der passende Ort für diese Erinnerungsarbeit?

„Endlich Tacheles“: heute, 19.30 Uhr, Göttingen, Lumière-Kino;

Vorführung zum 85. Jahrestag des Novemberpogroms: Do, 9. 11., 17.30 Uhr, Bramsche, Rathaus. Anmeldung erforderlich bei der VHS Osnabrücker Land

Bei mir ist es so, dass ich Filme, bei denen ich das Gefühl habe, dass sie zu sehr aus der Opferperspektive erzählt werden, gar nicht anschauen kann. So habe ich mir „Schindlers Liste“ oder „Das Leben ist schön“ nie angesehen. Da trau ich mich nicht rein, weil ich die Befürchtung habe, dass es sehr weh tun würde.

Und was halten Sie dann von Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“, der sich sogar die Tötung Adolf Hitlers ausmalt?

Den finde ich super. Als er in Israel gezeigt wurde, hat er dort stehende Ovationen bekommen. Im Überschwang haben ein paar Rabbiner gesagt, das wäre der beste Film, der je über die „Shoah“ gedreht wurde – und Tarantino solle als Ehrenmitglied in den Stamm aufgenommen werden.