: Das offizielle Ende der „Republik Arzach“
Zum Neujahr wollen die Behörden Bergkarabachs ihre Regierung auflösen. Bis dahin werden wohl kaum noch Armenier in dem Gebiet sein, über 70.000 sind bereits geflohen
Von Florian Bayer, Wien
Neun Tage nach den aserbaidschanischen Angriffen und der darauffolgenden Kapitulation Bergkarabachs haben die Behörden des Gebiets die Auflösung der Lokalregierung bekannt gegeben. Die international nicht anerkannte „Republik Arzach“ soll es zum 1. Januar 2024 nicht mehr geben.
Fraglich ist, welche Kompetenzen die Lokalregierung derzeit noch hat. Sie hatte angekündigt, „in den kommenden“ Tagen den Transport jener Bürger zu organisieren, die nicht selbstständig ausreisen könnten. Ob und in welcher Form das passieren kann, ist aber unklar. Seit Tagen kontrollieren bereits aserbaidschanische Truppen ganz Bergkarabach, auch die Polizei Aserbaidschans ist auf dem Gebiet zugegen.
Die Informationslage ist auch deshalb so dünn, da es nach wie vor keine Erlaubnis für die Sendung einer internationalen Beobachtermission gibt. Schon seit Dezember 2022, als Aserbaidschan Bergkarabach durch die Blockade des Latschin-Korridors von der Außenwelt abschnitt, war Journalisten und Hilfsorganisationen – mit Ausnahme des Roten Kreuzes (ICRC) – die Einreise unmöglich.
Auch am Donnerstag ging die Flucht tausender Karabach-Armenier nach Armenien weiter. Bilder zeigen lange Staus über die Gebirgsstraße. Berichtet wird von oftmals deutlich über 20 Stunden Fahrtdauer in die armenische Kleinstadt Goris, die zur ersten Anlaufstelle für viele Geflüchtete wird. Normalerweise dauert die Fahrt von Bergkarabachs Hauptstadt Stepanakert nach Goris nur rund zwei Stunden.
Unterdessen sind bereits rund 70.000 armenische Vertriebene in Armenien angekommen, wie die Behörden in der Hauptstadt Jerewan vermelden. Dies entspricht etwa zwei Dritteln der Gesamtbevölkerung Bergkarabachs, wobei exakte Zahlen zur früheren Bevölkerung fehlen. Armeniens Premier Nikol Paschinjan hatte bereits letzte Woche angekündigt, sämtliche Geflüchtete aus Bergkarabach aufnehmen zu wollen.
Anders als die internationale Gemeinschaft spricht er von einer ethnischen Säuberung: „In wenigen Tagen wird es keine Armenier in Bergkarabach mehr geben“, so Paschinjan. „Dies ist ein direkter Akt der ethnischen Säuberung und Enteignung, wovor wir die internationale Gemeinschaft seit langem gewarnt haben.“ Die internationalen Erklärungen, die nun abgegeben werden, seien wichtig, es müssten aber „konkrete rechtliche und politische Entscheidungen darauf folgen“. Gemeint sind damit unter anderem Sanktionen seitens der EU-Kommission, für die ein Stopp der Gasimporte aber weiterhin nicht infrage kommt.
Von der EU war nach wie vor kein hochrangiger Offizieller in Armenien, um Farbe zu bekennen. Die Europäische Kommission hat ihre ursprünglich zugesagten 500.000 Euro mittlerweile auf 5 Millionen Euro für die Akuthilfe erhöht.
Rechnet man alle Hilfsorganisationen und Gelder zusammen, gebe es somit Zusagen für weniger als 50 Millionen Euro, sagt Narek Sukiasyan, Politikwissenschaftler an der Universität Jerewan und Mitarbeiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Armenien.
„Zum Vergleich: Georgien hat im Zuge des Kaukasuskriegs 2008 mehr als 5 Milliarden an Unterstützung bekommen. Die Zahl der Geflüchteten war damals nur geringfügig höher“, sagt Sukiasyan. Er schätzt den tatsächlichen Bedarf für die Geflüchteten aus Bergkarabach mindestens zehnmal so hoch wie die bisher zugesagten Hilfsgelder ein. In Georgien seien damals außerdem mit der Zeit viele Geflüchtete in ihre Heimatorte zurückgekehrt. Für die Armenier aus Bergkarabach ist das aber nicht möglich.
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