: Ein Auge für die Kinostars
Lette Valeska musste aus Braunschweig fliehen. In Hollywood hat sie als Fotografin Karriere gemacht. Erstmals würdigt eine Ausstellung in der Heimat ihr Werk
Von Bettina Maria Brosowsky
Wann wird Werbung zur Kunst? In Braunschweig zeigt das Städtische Museum derzeit eine reiche Auswahl von Hollywood-Publicity-Fotos, eine Aufmerksamkeit, die das Genre selten findet: Mit Aufkommen des Stummfilms stellten diese im Studio inszenierten Porträts von Filmdiven und -Beaus ein ganz spezielles Aufgabenfeld der Fotografie dar. Große Filmproduzenten wie Metro-Goldwyn-Mayer verschickten jährlich massenweise solcher Bilder an die Presse. Sie dienten nicht vorrangig der Werbung für neue Filme, denn dafür gab es nachgestellte Standbilder. Mit den Porträts ihrer Stars heizten die Produzenten deren Popularität an, und mit ihr die Vorfreude auf den nächsten Film.
Diese Porträts folgten künstlerischen Strömungen der Zeit. Eine neusachliche Auffassung kam in den 1920ern auf, ebenso eine experimentellere, wie von László Moholy-Nagys Bauhauslichtbildnerei inspiriert. Ihren kanonischen Typus erreichte die Starfotografie in den 1930er- und 1940er-Jahren mit einer Stilrichtung, die heute gemeinhin als Glamour bezeichnet wird.
Wohl jede:r kennt die minutiös arrangierten und perfekt ausgeleuchteten Schwarz-Weiß-Ikonen einer Greta Garbo, Marlene Dietrich oder des leicht geschürzten Tarzan-Darstellers Johnny Weissmuller. Die chronologisch bis 1962 reichende, üppige Auswahl solcher Fotos in Braunschweig stammt aus der Sammlung von Daniel Kothenschulte, Filmredakteur der Frankfurter Rundschau, Buchautor und Kurator von Filmveranstaltungen.
Sie soll den fotohistorischen wie theoretischen Hintergrund liefern zu einer Ausstellung der Hollywood-Fotografin Lette Valeska (1885–1985). Die entstammte einer wohlhabenden jüdischen Familie aus Braunschweig. Ihr Werk wird nun erstmals in Deutschland gezeigt: eine sehr verspätete Würdigung, die sich nahtlos ins lange Verdrängen einer durch den Holocaust ausgelöschten jüdischen Kultur oder auch die Verweigerung materieller Restitutionen einreiht.
Die Biografie der als Valeska Heinemann in eine bildungsbürgerlich religionsferne Familie Geborenen liest sich beispielhaft für die existenziellen Bedrängnisse, denen europäische Jüdinnen und Juden nach 1933 ausgeliefert waren. Als Kind fährt sie begeistert per Fahrrad, damals ein neues, eher unschickliches Verkehrsmittel, durch Braunschweig, mit zwölf Jahren erhält sie ihre erste Kamera. Die höhere Schulbildung wird durch Fremdsprachenunterricht sowie Kurse am Berliner Lette-Verein, einer Bildungseinrichtung für Frauen, begleitet. Ab 1911 folgt eine Tätigkeit als Fremdsprachenkorrespondentin in Brüssel, und, viel wichtiger: Sie besucht dort zusammen mit ihrer Braunschweiger Freundin seit Kindertagen, Galka Scheyer (1889–1945), die École des Beaux Arts.
Scheyer, auch sie aus gutsituiert jüdischem Hause, wird später die künstlerische Mentorin von Lette Valeska, Madame Valeska oder kurz Valeska, wie sich Heinemann nach Enteignung, Emigration 1938 und einer gescheiterten Ehe nennen wird. Scheyer war bereits seit 1924 als Kunstagentin in den USA tätig, vertrat dort die europäische Moderne und wurde Anlaufstelle für viele Emigrant:innen.
Sie holt die Freundin Valeska und deren Tochter an ihren Lebensmittelpunkt, nach Los Angeles. Valeska gelingt es dort, sich mit dem Fotografieren von Schulkindern den Lebensunterhalt zu verdienen. Da ohne eigenes Studio, nimmt sie die Kinder in deren vertrautem Zuhause auf. Auf diese Weise findet sie zu zwanglosen, lebendigen Motiven. Der Produzent David O. Selznick, bekannt für seine Margaret-Mitchell-Verfilmung „Vom Winde verweht“, wird auf Valeskas Bilder aufmerksam. Er ist es, der ihr den Weg zu den Größen Hollywoods ebnet. Ingrid Bergman, Doris Day, Rita Hayworth oder Ava Gardner, James Stewart, Burt Lancaster, Rex Harrison und Gregory Peck: Für sie alle ist es auf einmal „fashionable“, vor Valeskas Kamera zu stehen – auf eine bis dahin ungewohnte Art.
Denn sie setzt ihre locker situative, technisch mitunter unperfekte Fotografie fort. Sie stellt ihre Protagonist:innen in die Natur oder einen Architekturkontext, lässt sie sich aus dem Fenster lehnen, mit Kind oder Hund interagieren, sie schaut ihnen zu Hause zu: beim Lesen, in der Küche oder gar dem Anziehen. Das war neu, war kein bewusster „Stil“ und holte selbst entrückte Stars auf ein menschliches Maß herunter – sicherlich: gutes Marketing. Valeska bastelte sich auch keine Theorie zusammen wie etwa die eines „entscheidenden Moments“, wie ihn Henri Cartier-Bresson für den kompositorischen Kick seiner Fotografien reklamierte. Ihre Bilder, selbst nicht als „Porträts“ empfunden, sah sie als eingefangene Momente, „arrested moments“, unmittelbar aus dem Leben.
Eine solche Haltung lässt sich wohl teilweise mit der autodidaktischen Aneignung des Mediums erklären, zu der Scheyer ihre Freundin auch in der Malerei und Bildhauerei ermunterte. Die besondere Qualität der Starfotos Valeskas liegt in der persönlichen Nähe, die der in den 1940er-Jahren ja schon etwas älteren Fotografin im Umgang mit den um einiges jüngeren Schauspieler:innen gelang, etwa der blutjungen, schüchternen Liz Taylor. In den unmenschlichen Zeiten von Shoah und Zweitem Weltkrieg gelangen so feine Momente gegenseitigen Vertrauens und tiefer Menschlichkeit.
Ausstellung: „Lette Valeska. Stars ohne Glamour“, bis 7. 1. 24, Städtisches Museum Braunschweig. Begleitbuch 19,95 Euro. Das Braunschweig-Film-Festival zeigt Valeska zu Ehren im November drei Hollywood-Klassiker
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