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: „Patienten sollten deportationsfähig gepflegt werden“

Das 1843 eröffnete Israelitische Krankenhaus in Hamburg wurde vom NS-Regime gezielt demontiert

Interview Petra Schellen

taz: Herr Simon, warum ist ein vor 180 Jahren eröffnetes Krankenhaus in Hamburg ein wichtiges Thema?

Rudolf Simon: Das Israelitische war es das erste moderne Krankenhaus in Norddeutschland. Auch zeugt es vom Mäzenatentum des jüdischen Bankiers Salomon Heine, Onkel von Heinrich Heine. Salomon Heine half der Stadt Hamburg nicht nur beim Großen Brand von 1842, indem er sein Haus sprengen ließ, damit die Flammen nicht übergriffen, sondern auch finanziell. Und mit dem von ihm gestifteten Krankenhaus wollte er nicht nur die ärztliche Versorgung verbessern. Das Haus war auch explizit für Menschen aller Religionen und Schichten gedacht. Bedürftige wurden kostenlos behandelt.

Davon gab es einige in diesem Stadtteil.

Ja. Heine hatte das Gelände des einstigen Pesthofs günstig erwerben können. Nach kurzer Zeit war das Haus sehr beliebt, renommierte Ärzte arbeiteten dort, und 70 Prozent der PatientInnen waren Nichtjuden.

Was geschah 1933, nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten?

Die Krankenkassen zahlten nicht mehr, wenn sich nichtjüdische Menschen bei jüdischen ÄrztInnen oder im Israelitischen Krankenhaus behandeln ließen. Es kamen immer weniger. 1939 beschlagnahmte das NS-Regime das Haus, und der Betrieb ging in kleineren Gebäuden weiter. 1960 wurde ein neues Gebäude in Alsterdorf eröffnet.

Wie erging es dem Personal ab 1933?

Foto: privat

Rudolf Simon,Jg. 1948, Historiker und Sozialpädagoge im Ruhestand, war zuletzt Leiter einer psychiatrischen Tagesklinik und hat 2016 mit Bertram Rotermund den Film gedreht.

Die jüdischen ÄrztInnen, PflegerInnen, Verwaltungsangestellten wurden verfolgt und deportiert. Einige emigrierten. Viele ÄrztInnen trugen ständig Ampullen bei sich, damit sie Suizid begehen konnten. Ein Ärztin stürzte sich vom Dach, als der Deportationsbescheid kam.

Stimmt es, dass die ÄrztInnen jüdischen PatientInnen die Deportationsfähigkeit attestieren mussten?

Ja. Ein in Paris verhafteter jüdischer Mann wurde zum Beispiel hergebracht, damit man ihn transportfähig pflegte. Er starb. In unserm Film erzählt eine einstige Krankenschwester davon.

Was hat Sie bewogen, gemeinsam mit dem Dokumentarfilmer Bertram Rotermund „Den Nazis ein Dorn im Auge“ zu drehen?

Für den Film von 2016, den wir zum 180-ährigen Bestehen des Krankenhauses wieder zeigen, gab es eine sehr persönliche Motivation. Als Betreuer in einer psychiatrischen Tagesklinik in St. Pauli habe ich auch Stadtführungen für PatientInnen gemacht. Vor dem Israelitischen Krankenhaus sagte ein älterer Patient: „Wenn ich 30 Jahre älter wäre, hätte ich nicht überlebt.“ Das hat mich schockiert. Es stimmte ja; die „Euthanasie“ der Nazis war gnadenlos. Da beschloss ich, mich dem Thema zu widmen.

Film­vorführung „Den Nazis ein Dorn im Auge“: Di, 19. 9., 19 Uhr, Hamburg, Gedenk- und Bildungsstätte Israelitische Töchterschule, Karolinen­straße 35Plakat-Ausstellung „Gestiftet. Enteignet. Verkauft. 180 Jahre Israelitisches Krankenhaus in St. Pauli“: bis 21. 9. , Simon-von-Utrecht-Straße/Ecke Talstraße

Im Film spricht auch eine einstige Assistenzärztin.

Ja, das war die Ärztin Ingeborg Syllm-Rapoport, die 1938 nicht zur mündlichen Prüfung zugelassen wurde, weil ihre Mutter Jüdin war. Sie emigrierte in die USA und hat 2015 mit 102 Jahren in Hamburg ihre Prüfung nachgeholt. Im NS-Staat war aber ihr einzig möglicher Arbeitsplatz das Israelitische Krankenhaus, und davon erzählt sie im Film.

Was geschah nach dem Krieg mit dem Gebäude?

Eine Zeitlang diente es als Lazarett, inzwischen hat die Stadt es an einen Investor verkauft. Heute sitzt dort das Jobcenter. Der Betty-Heine-Betsaal existiert noch. Andere Räume stehen leer.